DIE GRÄFIN VON ORLAMÜNDE
Gleichwie nun dieses Kloster, obbesagtermaßen, an dem Unschuldigen-Kindleins-Tag ehedessen gestiftet wurde, also soll sich auch mit zweien, in derselben Begräbnisgruft befindlichen, unschuldigen Kindern etwas Denkwürdiges zugetragen haben, davon eines ein Jahr, das andere zwei Jahre alt gewesen zu sein vorgegeben wurde, wozu unser Herr Burggraf Albertus pulcher Gelegenheit und Anlaß gegeben haben soll. Das Faktum wird insgemein von denen Skribenten folgender Gestalt, doch in Nebenumständen diversimodo angegeben:
Es habe sich eine verwittibte junge Gräfin von Orla-münd, namens Beatrix, eine geborene Prinzessin von Meran, oder, wie Hofmann in annalibus Bambergensibus vorgibt, Carinte, aus einem unbekannten Haus, zu eben der Zeit, da Kulmbach mit diesem Kloster an die Herren Burggrafen durch obgedach-ten Vertrag überging, mit diesen zwei Kindern zu Plassenburg aufgehalten, welche sich in den schönen Burggrafen, Albertum, unglücklich verliebt und solchen gerne zur Ehe gehabt hätte; es wäre auch der Burggraf derselben nicht ungeneigt gewesen, habe sich aber einmal vernehmen lassen: vier Augen verhindern solche Heirat, daß sie nicht geschehen könne; womit er dem Vermuten nach seine Eltern möge verstanden haben, die etwa solche Vermählung nicht gestatten wollen. Als die verliebte Gräfin von dieser, des Burggrafen getanen Deklaration Nachricht erhielt, sei sie auf die unseligen Gedanken verfallen, ob möchten durch die vier Augen ihre zwei Kinder verstanden werden, und habe den grausamen Entschluß gefasset, dieselben auf eine heimliche und subtile Weise aus dem Mittel zu räumen, zu dem Ende sie dann denselben eine Nadel durch den Kopf in das Hirn gestochen und hernach vorgegeben habe, daß beide jähling erkrankt und gestorben wären, worauf man sie in ihr Erbbegräbnis beigesetzet hätte. Nachdem aber hernach dennoch solche Heirat nicht zustand' gekommen, wäre die grausame Mutter über ihren begangenen Kindermord in so schwere Melancholie verfallen, daß sie deswegen in ein Frauenkloster zu Hof verschlossen werden mußte. Als nun nach zweihundert Jahren sotane Gruft einmal wieder eröffnet und solche Kinder darinnen gefunden wurden, wären sie noch so schön und unverweset gewesen, als wenn sie erst vor kurzer Zeit gestorben und begraben worden wären, welche Trauergeschichte der Pfarrer zu Melkendorf, Johann Löhr, anno 1559 an die damalige Äbtissin des Stiftes Himmelkron, Frau Margaretha von Döhla, umständlich in teutschen, obwohl nach dem heutigen gout mehrenteils sehr hart klingenden Versen beschrieben, die in Herrn von Falckensteins Nordgauischen Alterthümern, P.III.p. 152 zu lesen sind.
Quelle: M. J. M. Groß, Burg- und Marggräflich-Brandenburgische
Landes- und Regenten-Historie ... Schwabach 1749, S. 190ff. (zit. nach
Josef Dünninger, Fränkische Sagen vom 15. bis zum Ende des 18.
Jahrhunderts, 2. A., Kulmbach 1964, S. 90f., Nr. 71).
aus: Historische Sagen, Leander Petzoldt, Schorndorf 2001, Nr. 33, S.
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