Der Riese Eishere.
Es war ein Mann aus dem Thurgau, nach seinem Namen schon ein bedeutender
Teil eines furchtbaren Heeres - er hieß nämlich Eishere -,
so groß gewachsen, daß man hätte glauben können,
er sei vom Stamme Enaks, wenn die Entfernung von Zeit und Ort nicht so
groß wäre. So oft er an den Thurfluß kam, wenn dieser
durch Gießbäche aus den Alpen angeschwollen war und über
seine Ufer trat, und er nun sein gewaltiges Roß, ich will nicht
sagen in die Strömung, aber auch gar nicht in das Wasser zu treiben
vermochte, so nahm er es beim Zügel und zog es schwimmend nach sich,
mit den Worten: "Beim Herrn Gallus, du sollst mir folgen, du magst
wollen oder nicht." Als dieser also im Gefolge des Kaisers mitzog,
mähte er die Bemanen, Wilzen und Avaren wie das Gras auf der Wiese
und spießte sie wie Vögelchen auf seine Lanze. Siegreich nach
Hause gekehrt, sagte er, wenn ihn die Müßiggänger fragten,
wie es ihm im Wendenlande gefallen habe, ärgerlich darüber und
voll Verachtung der Feinde: "Was soll ich mit diesen Kröten?
Sieben oder acht oder auch neun von ihnen spießte ich auf meine
Lanze und trug sie hierhin und dorthin, weiß nicht, was sie dazu
brummten; unnützerweise haben der Herr König und wir uns gegen
solche Würmer abgemüht."
Quelle: Notker der
Stammler, Mönch von St. Gallen, Über die Taten Karls des Großen,
übersetzt von W. Wattenbach, Leipzig 1912, in: Geschichtsschreiber
der deutschen Vorzeit, Bd. 26, S. 68 f.
aus: Leander Petzoldt, Historische Sagen, Mit Anmerkungen und Erläuterungen,
Band II, Baltmannsweiler 2001, Nr. 619, S. 134 f.