Henning Wulf.
In der Kirche zu Wewelsfleth in der Wilstermarsch befindet sich ein altes
Gemälde auf einer langen Tafel, das auf einem großen grünen
Platze einen Schützen mit abgespanntem Bogen zeigt. In einiger Entfernung
vor ihm steht ein Knabe, der hat auf dem Kopfe einen Apfel, welcher von
einem Pfeil durchbohrt ist. Einen andern Pfeil hat der Schütze quer
im Munde. Ein Wolf oder Hund steht zwischen dem Knaben und dem Schützen
und richtet auf diesen seinen Blick. Dies ist eine Erinnerung an folgende
Begebenheit: In den Zeiten König Christians I. wohnte ein reicher
Mann, Henning Wulf mit Namen, im Kirchspiel Wewelsfleth und hatte seinen
Hof mit vielen Ländereien in der Dammducht. Als die Leute in der
Marsch sich gegen den König empörten und ihn nicht anerkennen
wollten, ward er ihr Hauptmann und Anführer. Weil der König
aber mit großer Macht heranzog und die Hamburger ihm halfen, wurden
die Marschleute geschlagen, und Henning Wulf mußte fliehen. Da verbarg
er sich in einem Rethschallen, und niemand wußte ihn zu finden.
Aber sein treuer Hund, der auf dem Gemälde mit abgebildet ist, war
ihm nachgelaufen, und da er ihm nicht in den Sumpf folgen konnte, ward
er sein Verräter. Man holte den Henning Wulf heraus und brachte ihn
zum König, und da dieser wußte, daß er von allen der
vortrefflichste Schütze sei, befahl er ihm höhnisch, seinem
einzigen jungen Sohne einen Apfel vom Kopfe zu schießen; gelänge
es ihm, solle er frei sein. Henning Wulf mußte gehorchen, holte
seinen Bogen und seinen Knaben und tat glücklich den Schuß;
hatte aber vorher einen zweiten Pfeil in den Mund genommen. Da fragte
ihn der König, für wen denn dieser bestimmt sei, und Henning
antwortete, wenn er, seinen Sohn getroffen hätte, sei der Pfeil für
den König selber gewesen. Da erklärte ihn dieser in die Acht,
und Henning mußte fliehen. Sein Land aber ward eingezogen und mußte
bis in unsere Zeit noch schwere Abgaben tragen und heißt das Königsland.
Man zeigt auch noch das Haus, wo Henning Wulf gewohnt hat. (Schleswig-Holstein)
Quelle: G. Fr. Meyer,
Schleswig-Holsteiner Sagen, Jena 1929, S. 135.
aus: Leander Petzoldt, Historische Sagen, Mit Anmerkungen und Erläuterungen,
Band II, Baltmannsweiler 2001, Nr. 608, S. 130.