Stauffacher.

In denselben Zeiten war einer zu Schwyz, der hieß Stoupacher; er wohnte in Steinen, diesseits der Brücke, und hatte ein hübsches steinernes Haus gebaut. Einmal ritt Gessler vorbei, rief den Stoupacher und fragte ihn, wem die hübsche Herberge wäre. Stoupacher erwiderte traurig: "Gnädiger Herr, sie ist Euer und mein Lehen" und wagte nicht zu sagen, sie gehörte ihm, so sehr fürchtete er den Herrn. Dieser ritt hinweg; der Stoupacher aber hatte großen Kummer und war besorgt, daß er ihm Leib und Gut nehmen würde. Er hatte aber eine kluge Frau, die sah seine Betrübnis, tat, wie noch Frauen tun, und hätte gern gewußt, was ihm fehlte, doch wollte er es ihr nicht sagen. Zuletzt drang sie mit großer Bitte in ihn: "Sage mir deine Not! Wohl sagt man, Frauen geben kalte Räte; aber wer weiß, was Gottes Wille ist!" Und wie sie ihn so oft und so dringend bat, offenbarte er ihr endlich seinen Kummer. Da stärkte sie ihn mit Worten und sprach: "Das wird noch guter Rat!" und fragte ihn, ob er nicht in Uri jemand wüßte, dem er seine Not klagen könnte. Sie nannte ihm die Geschlechter Fürst und Zerfrauen. Da gedachte Stoupacher über den Rat der Frau nach, fuhr gen Uri und blieb hier, bis er einen fand, der auch solchen Kummer hatte. Die Frau hatte ihn auch gebeten, in Unterwaiden nachzufragen, denn sie meinte, dort wären ebenfalls Leute, die solchen Druck nicht gern ertrügen.

Nun war des armen Mannes Sohn, der dem Knechte Landenbergs den Finger zerschlagen hatte, aus Unterwaiden entflohen und nirgends sicher. Ihn dauerte das Schicksal seines Vaters, und er hätte ihn gern gerächt. Dieser junge Mann kam auch zu Stoupacher, und so waren ihrer drei zusammen, der Stoupacher von Schwyz, einer der Fürste von Uri und der aus Melcher von Unterwaiden, und ein jeder klagte dem anderen seine Not und seinen Kummer, beratschlagten und schwuren zusammen. Und als die drei einander geschworen hatten, suchten sie und fanden einen aus Niedwalden, der auch zu ihnen schwur, und nach und nach fanden sie immer mehr Leute, die sie an sich zogen und die schwuren, mit Leben und Gut zu ihnen zu halten und sich der Herren zu wehren. Und wenn sie etwas vornehmen wollten, so fuhren sie nachts vor den Mythenstein an einen Ort, der heißt im Rütli. Hier tagten sie zusammen, und ein jeglicher brachte Leute mit sich, denen sie trauen konnten. Das trieben sie lange Zeit im Verborgenen und tagten nirgend anders als im Rütli.

Quelle: Wilhelm Vischer, Die Sage von der Befreiung der Waldstätte nach ihrer allmählichen Ausbildung, Leipzig 1867, S. 33 ff. (Das weiße Buch von Sarnen, 1470).
aus: Leander Petzoldt, Historische Sagen, Mit Anmerkungen und Erläuterungen, Band II, Baltmannsweiler 2001, Nr. 606, S. 127 f.