Die Erziehung des Herakles
Als Amphitryon das hohe Geschick des Knaben aus dem Munde des Sehers
vernahm, beschloß er, ihm eine würdige Heldenerziehung zu geben,
und Heroen aller Gegenden versammelten sich, den jungen Herakles in allen
Wissenschaften zu unterrichten. Sein Vater selbst unterwies ihn in der
Kunst, einen Wagen zu regieren; den Bogen zu spannen und mit Pfeilen zielen,
lehrte ihn Eurytos; die Künste der Ringer und Faustkämpfer Harpalykos.
Eumolpos lehrte ihn den Gesang und den zierlichen Schlag der Leier; Kastor,
der Zeussohn, die Kunst schwerbewaffnet und geordnet im Felde zu fechten.
Linos aber, der greise Sohn Apolls, lehrte ihn die Buchstabenschrift.
Herakles zeigte sich als gelehriger Knabe, aber Härte konnte er nicht
ertragen, und der alte Linos war ein grämlicher Lehrer. Als er ihn
einst mit ungerechten Schlägen zurechtwies, griff der Knabe nach
seinem Zitherspiel und warf es dem Hofmeister an den Kopf, daß dieser
tot zu Boden fiel. Herakles, obgleich voll Reue, wurde dieser Mordtat
halber vor Gericht gefordert; aber der berühmte, gerechte Richter
Rhadamanthys sprach ihn frei und stellte das Gesetz auf, daß, wenn
ein Totschlag Folge der Selbstverteidigung gewesen, Blutrache nicht stattfinde.
Doch fürchtete Amphitryon, sein überkräftiger Sohn möchte
sich wieder Ähnliches zuschulden kommen lassen und schickte ihn deswegen
auf das Land zu seinen Ochsenherden. Hier wuchs er auf und tat sich durch
Größe und Stärke vor allen hervor. Als ein Sohn des Zeus
war er furchtbar anzusehen. Er war vier Ellen lang, und Feuerglanz entströmte
seinen Augen. Nie fehlte er im Schießen des Pfeils und im Werfen
des Spießes. Als er achtzehn Jahre alt geworden, war er der schönste
und stärkste Mann Griechenlands, und es sollte sich jetzt entscheiden,
ob er diese Kraft zum Guten oder zum Schlimmen anwenden werde.