Medea und Aietes
Zuletzt kam auch Aietes heraus mit seiner Gemahlin Eidyia, denn der Jubel und die Tränen ihrer Tochter hatten sie herausgelockt. Sogleich füllte sich der ganze Vorhof mit Getümmel: hier waren Sklaven damit beschäftigt, einen stattlichen Stier für die neuen Gäste zu schlachten; dort spalteten andere dürres Holz für den Herd; wieder andere wärmten Wasser in Becken am Feuer: da war keiner, der nicht im Dienste des Königs etwas zu tun gefunden hätte. Über ihnen allen ungesehen schwebte hoch in der Luft der Liebesgott, zog einen schmerzbringenden Pfeil, senkte sich mit diesem unsichtbar zur Erde nieder, und hinter Iason zusammengekauert schnellte er vom gespannten Bogen das Geschoß auf die Königstochter Medea, und der brannte bald der Pfeil, dessen Flug niemand und sie selbst nicht bemerkt hatte, unter der Brust wie eine Flamme. Wie ein schwer Erkrankter mußte sie einmal über das andere hoch aufatmen; von Zeit zu Zeit warf sie heimliche Blicke auf den herrlichen Helden Iason; alles andere war aus ihrem Gedächtnis geschwunden; ein einziger süßer Kummer bemächtigte sich ihrer Seele; Blässe wechselte auf ihrem Antlitz mit Purpurröte.
In der frohen Verwirrung war niemand auf die Verwandlung aufmerksam, die mit der Jungfrau vorgegangen war. Die Knechte trugen die zubereiteten Speisen herbei, und die Argoschiffer, die sich vom Schweiße der Ruderarbeit im warmen Bade gereinigt hatten, labten sich, fröhlich zu Tische sitzend, an Speise und Trank. Über dem Mahle erzählten dem Aietes seine Enkel das Schicksal, das sie unterwegs betroffen hatte, und nun fragte er sie auch leise nach den Fremdlingen. "Ich will es dir nicht verbergen, Großvater", flüsterte ihm Argos zu, "diese Männer kommen, das goldene Vlies unseres Vaters Phrixos von dir zu erbitten. Ein König, der sie gern aus ihrem Vaterland und ihrem Eigentum vertreiben möchte, hat ihnen diesen gefährlichen Auftrag erteilt. Er hofft, sie werden dem Zorne des Zeus und der Rache des Phrixos nicht entgehen, bevor sie mit dem Vlies in ihre Heimat zurückkommen. Ihr Schiff hat ihnen Athene bauen helfen, kein solches, wie wir Kolchier sie gebrauchen, von denen wir, deine Enkel, freilich das schlechteste bekommen haben, denn im ersten Windstoß ging es zu Scheitern. Nein, diese Fremdlinge haben ein Schiff, so fest gezimmert, daß alle Stürme vergebens dagegen ankämpfen, und sie selbst sitzen unaufhörlich an dem Ruder. Die tapfersten Helden Griechenlands haben sich in diesem Schiffe versammelt." Und nun nannte er ihm die vornehmsten mit Namen, meldete ihm auch lasons, ihres Vetters, Geschlecht.
Als der König dieses hörte, erschrak er in seinem Herzen und
wurde zornig auf seine Enkel, denn durch sie veranlaßt, glaubte
er, seien die Fremdlinge an seinen Hof gekommen. Seine Augen brannten
unter den buschigen Brauen, und er sprach laut: "Geht mir aus den
Augen, ihr Frevler, mit euren Ränken! Nicht das Vlies zu holen, sondern
mir Szepter und Krone zu entreißen, seid ihr hierhergekommen! Säßet
ihr nicht als Gäste an meinem Tisch, so hätte ich euch längst
die Zungen ausreißen und die Hände abhauen lassen und euch
nur die Füße geschenkt, um davonzugehen!" Als Telamon,
des Aiakos Sohn, der zunächst saß, dieses hörte, ergrimmte
er im Geist, wollte sich erheben und dem König mit gleichen Worten
vergelten. Aber Iason hielt ihn zurück, und antwortete selbst mit
sanften Worten: "Fasse dich, Aietes, wir sind nicht in deine Stadt
und deinen Palast gekommen, dich zu berauben. Wer möchte ein so weites
und gefährliches Meer befahren, um fremdes Gut zu holen? Nur das
Schicksal und der grausame Befehl eines bösen Königs brachte
mich zu diesem Entschluß. Verleihe uns das goldene Vlies auf unsere
Bitte als eine Wohltat; du sollst in ganz Griechenland dafür verherrlicht
werden. Auch sind wir bereit, dir schnellen Dank abzustatten; gibt es
einen Krieg in der Nähe, willst du ein Nachbarvolk unterjochen, so
nimm uns zu Bundesgenossen an, wir wollen mit dir ziehen." So sprach
Iason besänftigend; der König aber ward unschlüssig in
seinem Herzen, ob er sie auf der Stelle sollte umbringen lassen oder ihre
Kräfte vorher auf die Probe setzen. Nach einigem Besinnen däuchte
ihm das letztere besser, und er erwiderte ruhiger als zuvor: "Was
braucht es der ängstlichen Worte, Fremdling? Seid ihr wirklich Göttersöhne,
oder sonst nicht schlechter als ich, und habt Lust nach fremdem Gute,
so mögt ihr das goldene Vlies mit euch fortnehmen, denn tapfern Männern
gönne ich alles. Aber vorher müßt ihr mir eine Probe geben
und eine Arbeit verrichten, die ich selbst sonst zu tun pflege, so gefährlich
sie ist. Es weiden mir auf dem Felde des Ares zwei Stiere mit ehernen
Füßen, die Flammen speien. Mit diesen durchpflüge ich
das rauhe Feld, und wenn ich alles umgeackert, so säe ich in die
Furchen, nicht der Demeter gelbes Korn, sondern die gräßlichen
Zähne eines Drachen; daraus wachsen mir Männer hervor, die mich
von allen Seiten umringen und die ich mit meiner Lanze alle erlege. Mit
dem frühen Morgen schirre ich die Stiere an, am späten Abend
ruhe ich von der Ernte. Wenn du das gleiche vollbracht hast, o Führer,
so magst du noch am selben Tage das Vlies mit dir fortnehmen nach deines
Königs Haus, eher aber nicht, denn es ist nicht billig, daß
der tapfere Mann dem schlechteren weiche." lason saß bei diesen
Reden stumm und unschlüssig da, er wagte es nicht, ein so furchtbares
Werk kecklich zu versprechen. Indessen faßte er sich und antwortete:
"So groß diese Arbeit ist, so will ich sie doch bestehen, o
König, und wenn ich darüber umkommen sollte. Schlimmeres als
der Tod kann auf einen Sterblichen doch nicht warten, ich gehorche der
Notwendigkeit, die mich hierher gesendet hat." "Gut", sprach
der König, "geh jetzt zu deiner Schar, aber besinne dich! Gedenkst
du nicht alles auszuführen, so überlaß es mir und mach
dich aus dem Staube."