Die Symplegaden
Phineus nahm dankbar und gerührt Abschied von seinen Rettern, die
weiter und mancherlei neuen Schicksalen entgegenfuhren. Zuerst wurden
sie durch vierzigtägige Nordwestwinde aufgehalten, bis Opfer und
Gebet zu allen zwölf Göttern ihnen zu frischer Fahrt verhalf.
Sie waren im besten Segeln begriffen, als ein lautes Tosen ihnen von fern
schon ans Ohr schlug. Es war das Krachen der immer zusammenstoßenden
und immer wieder zurückprallenden Symplegaden, der Widerhall der
Ufer und das Zischen des zusammengepreßten Meeres. Tiphys der Steuermann
stellte sich wachsam ans Steuerruder. Euphemos der Held erhob sich im
Schiffe und hielt auf der flachen Rechten eine Taube. Wenn diese, hatte
Phineus ihnen geweissagt, furchtlos zwischen den Felsen durchflöge,
so dürften auch sie kecklich die Durchfahrt wagen. Eben öffneten
sich die Felsen: Euphemos ließ die Taube fliegen; alle richteten
ihre Häupter in Erwartung empor. Die Taube flog mitten hindurch,
aber schon näherten sich die Felsen wieder, das schäumende Meer
wallte zischend einer Wolke gleich auf; ein Brausen erfüllte Wasser
und Luft; jetzt stießen die Felsen zusammen und klemmten der Taube
die letzten Schwanzfedern ab, doch war sie glücklich hindurch gekommen.
Mit lauter Stimme ermunterte Tiphys die Ruderer; dann aber öffneten
sich die Felsen wieder, und die strömende Flut zog das Schiff mit
sich hinein. Jetzt hing das Verderben über ihrem Haupte: eine turmhohe
Woge wälzte sich ihnen entgegen, bei deren Anblick alle die Köpfe
bückten. Aber Tiphys hieß mit dem Rudern innehalten, und die
schäumende Welle wälzte sich unschädlich unter dem Kiele
hin und hob das Schiff hoch über die zusammenschwimmenden Felsen
empor. Die Helden arbeiteten, daß die Ruder sich krümmten;
jetzt riß der Strudel das Schiff wieder mitten in den Felsen hinab.
Schon stießen die Felsen zu beiden Seiten an den Bauch des Schiffes,
da gab ihm die Schutzgöttin Athene einen unsichtbaren Stoß,
daß es glücklich durchkam und die zusammenschlagenden Felsen
nur eben noch die äußersten Bretter des Hinterteiles zermalmten.
Als erst die Helden den Äther und die offene See wieder vor sich
sahen, da atmeten sie von der Todesangst wieder auf, und es war ihnen,
als wären sie aus der Unterwelt emporgetaucht. "Das ist nicht
durch unsere Kraft geschehen", rief Tiphys, "wohl fühlte
ich hinter mir die göttliche Hand Athenes, deren Schnellkraft das
Schiff durch die Felsen stieß! Nichts haben wir fortan zu fürchten;
alle anderen Arbeiten nach dieser Gefahr hat uns Phineus als leicht geschildert."
Aber Iason schüttelte traurig sein Haupt und sprach: "Guter
Tiphys, ich habe die Götter versucht, daß ich dieses Unternehmen
mir von Pelias auflegen ließ; lieber hätte ich mich von ihm
in Stücke sollen hauen lassen! Jetzt bringe ich in Seufzen die Nächte
nach den Tagen zu, nicht für mich besorgt, nein, nur auf euer Leben
und Heil bedacht, und wie ich aus so gräßlichen Gefahren euch
der Heimat unverloren zurückgeben soll." So sprach der Held,
seine Genossen zu versuchen. Diese aber jubelten ihm freudig zu und verlangten
vorwärts.