KIBAGA, DER FLIEGENDE KRIEGER

In Uganda, einem Negerreiche nordwestlich des Victoria Nyanzasees, herrschte einst ein mächtiger König namens Nakivingi. Der hatte unter seinen Kriegern einen, der durch die Luft zu fliegen verstand. Als der König einst mit den Wanyoro Krieg führte, sandte er Kibaga, das war der Name des fliegenden Kriegers, um die Stellungen der Feinde zu erkunden. Sobald dieser das Versteck der Feinde gefunden hatte, griff der König sie mit seinem Heere an, und der tapfere Kibaga unterstützte ihn wirkungsvoll, indem er von oben her große Felsstücke auf die Gegner schleuderte und eine große Zahl von ihnen tötete.

Nun geschah es, daß Kibaga unter den Gefangenen der Wanyoroleute ein schönes Mädchen erblickte, das der König zur Frau haben wollte. Als Nakivingi aber sah, daß die Blicke seines treuen Kriegers wohlgefällig auf der Jungfrau ruhten, überließ er sie ihm, warnte ihn jedoch, ihr etwas von seiner geheimen Kraft zu sagen, damit sie ihn nicht verraten könnte. So wußte Kibagas Frau lange Zeit nichts von der Kunst ihres Mannes. Da er aber häufig plötzlich verschwand und ebenso plötzlich zurückkam, so wurde sie argwöhnisch und beobachtete ihn heimlich. Und eines Morgens sah sie mit Erstaunen, wie er sich mit einer Last von Steinen auf dem Rücken in die Luft erhob. Da erinnerte sie sich, daß die Wanyorokrieger darüber geklagt hatten, daß mehr ihrer Kameraden durch Geschosse von oben her als durch die Speere Nakivingis getötet worden wären, und da sie ihre Heimat und ihre Landsleute mehr liebte als ihren Gatten, so eilte sie in das Lager ihres Stammes und erzählte den erstaunten Wanyoro, was sie an diesem Morgen gesehen hatte.

Da legten die Wanyoro, um sich an Kibaga zu rächen, auf allen Anhöhen Bogenschützen in den Hinterhalt und gaben ihnen den Auftrag, nur die Luft zu beobachten und auf das Rauschen seiner Flügel zu horchen und dann Pfeile in der Richtung des Geräusches abzuschießen, gleichgültig, ob etwas zu sehen wäre oder nicht Auf diese Weise wurde Kibaga, als der König wieder einmal zum Kampfe auszog, tödlich verwundet, so daß man große Blutstropfen auf die Straße fallen sah. Der Flieger fiel herab und blieb in den Zweigen eines hohen Baumes hängen. Dort entdeckte ihn Nakivingi, er ließ den Baum fällen und erkannte mit unsagbarem Schmerz, daß es der Leichnam seines treuen fliegenden Kriegers war.


Quelle: Oskar Ebermann, Sagen der Technik, o. J., S. 64