KLINGELZÜGE IM WALDE

Etwa eine Stunde westlich von Alfeld, bei dem Dorfe Brunkensen, liegt die sogenannte Lippoldshohle. Sie hat ihren Namen von einem blutdürstigen Räuber, der hier vor Zeiten gehaust hat. Um nicht leicht entdeckt zu werden, hatte er seinem Pferde die Hufeisen verkehrt untergeschlagen. Damit aber niemand unbemerkt an der Höhle vorbeigehen könnte, hatte er auf allen Wegen, die vorbeiführten. Drahtzüge angebracht, die mit einem Glöckchen in der Höhle in Verbindung standen; ging nun jemand vorüber und stieß mit dem Fuß an den Draht, so klingelte alsbald das Glöckchen und zeigte dadurch an, daß ein Mensch in der Nähe war. Sogleich kam dann der Räuber aus seiner Höhle hervor, schoß die Ahnungslosen nieder und beraubte sie.

Einst gingen drei junge Mädchen aus Alfeld in den Weinbergen spazieren und wurden von dem Räuber überfallen; zwei von ihnen konnten noch entkommen, aber die dritte wurde gefangen. Der Räuber brachte sie in seine Höhle und zwang sie unter Androhung des Todes, ihm einen heiligen Eid zu schwören, daß sie ihm nicht entfliehen und keinem Menschen etwas von ihm sagen wolle, weder daß er sie entführt habe, noch wo er hauste. So blieb sie bei ihm in der Hohle. Kam er von seinen Raubzügen zurück, so legte er seinen Kopf auf ihren Schoß, und sie mußte ihn dann so lange kraulen, bis er einschlief. So schlief er täglich auf ihrem Schöße seinen Rausch aus, denn er war dem Trunke ergeben. Als sie schon lange in der Höhle bei ihm gelebt hatte, war einmal Markt in Alfeld, und sie wünschte sehnlich, dahin zu gehen. Sie bat ihn also, ihr dies zu erlauben. Zuerst weigerte er sich, aber schließlich gab er nach und ließ sie gehen. Als sie nach Alfeld kam, wollte sie gern jemand ihr Leid klagen, da sie aber geschworen hatte, keinem Menschen ihr Schicksal zu erzählen, so kniete sie auf dem Markte bei einem Steine vor dem Rathaus nieder und klagte klagte dem ihr Leid. Der Stein wurde, als er ihr Leid vernommen hatte, sogleich ganz blau. Weiter erzählte sie noch, wenn man sie befreien wollte, so müsse man um Mittag zur Höhle kommen, wenn der Räuber auf ihrem Schoße schlafe. Man müsse aber ein langes Seil mitbringen und durch den Schornstein herablassen, das wolle sie ihm dann um den Hals legen, so daß man ihn heraufziehen könnte. Darauf ging sie wieder zu ihrer Höhle zurück. Nun hatten aber auch einige Leute ihre Klage gehört, und eines Mittags machten sich einige beherzte Männer mit einem Seil auf den Weg zur Höhle, wo dann den Räuber sein Schicksal ereilte, so wie es das Mädchen gesagt hatte.


Quelle: Oskar Ebermann, Sagen der Technik, o. J., S. 81