DER "SCHWARZE FELSEN" VOM WÖRTHER SEE
Dort, wo sich aus den Fluten des Wörther Sees wild verstreute Felsstücke emportürmen, stand einst ein mächtiger Felsen, dessen steile Wände in den See abfielen. Er war durch seine schwarze Färbung gekennzeichnet und wurde von Menschenfuß fast nie betreten, denn alte Sagen woben sich um den Felsen, der die Gestalt einer Nixe gehabt haben soll. Riesige Seerosen wuchsen am Grund des Sees, und keine Menschenhand hatte noch je eine gepflückt. Ein fürchterlicher Strudel, der sich in der Nähe befand, war daran schuld, dass es noch niemand gewagt hatte, eine Rose zu pflücken. Vom Lande her war die Annäherung fast unmöglich, denn drohend ragte der Felsen zum Himmel empor, dessen steile, zerklüftete Wände die Gefährlichkeit eines solchen Unternehmens deutlich machten.
Diesen Felsen suchte einst ein Jäger aus dem Lesachtal auf. Eine besondere Aufgabe führte ihn hierher: Als Jüngling in den schönsten Jahren hatte er um die Hand einer Lesachtalerin angehalten, die ihm auch nicht verweigert worden wäre, hätte er nicht einen Nebenbuhler gehabt, der sich wie ein böser Geist zwischen ihn und seine Braut drängte. Dieser riet ihr nun, ihn erst eine Probe seiner Kühnheit und seines Mutes ablegen zu lassen, und zwar sollte er ihr eine Seerose vom Wörther See heimbringen. Voll Hoffnung trat der kräftige Jüngling, als er den Wunsch aus dem Munde seiner Braut erfahren hatte, den Weg an, den schon viele vor ihm mit dem Leben bezahlt hatten, denn die Flut duldete einen solchen Raub nicht.
Dunkles Gewölk hatte sich zusammengeballt, als er den See erreichte. Trotzdem wollte er von seinem Vorhaben nicht abstehen und begab sich auf die Suche nach einer Rose. Da führte ihn das Schicksal dem sonderbar geformten Felsen zu. Als er näher gekommen war, erblickte er mit Staunen die prächtigen Seerosen, die da unten in der stillen Flut wuchsen. Ein kalter Schauer überlief jedoch den beherzten Mann, als er die Umgebung betrachtete. Er erkannte bald die Gefährlichkeit seines Unternehmens; trotzdem wollte er sich davon nicht abhalten lassen und suchte nur eine passende Stelle, den Fuß des Felsens zu erreichen. Mit Schauder erblickte er jetzt die steile Wand, deren dunkle Färbung etwas Bedrohliches an sich hatte. Fast wollte er umkehren, da sah er eine Spalte, durch die er zu den Seerosen zu gelangen glaubte. Mit der größten Vorsicht begann er sein Werk, währenddessen ihm die Blütenkelche der Seerosen wie Todeskerzen entgegenzuleuchten schienen. Er war nun am Fuß des Felsens angelangt und hatte das zu-stande gebracht, was schon viele vor ihm mit dem Leben büßen mussten. Nun kam aber der schwerste Teil seiner Arbeit, nämlich eine Rose zu erreichen. Unheimlich drangen ihm die gurgelnden Laute des Strudels entgegen. Mit Vorsicht setzte er seinen Fuß in das seichte Uferwasser und griff nach einem Blütenkelch. Schon hielt er ihn in der Hand, als eine Nixe auftauchte und den Verwegenen in die kalte Tiefe hinabriss. Der See schäumte auf, haushohe Wellen schlugen dem Felsen entgegen, und mit einem donnernden Getöse stürzte die Wand dem Jäger nach. Die Seerosen aber waren verschwunden.
Quelle: Sagen und Geschichten aus dem Lesachtal,
gesammelt und niedergeschrieben von den Schülern der 2. Klasse der
Hauptschule Lesachtal Schuljahr 2000/2001, unter den Anleitungen von Hans
Guggenberger und Edith Unterguggenberger