DIE GUTEN LEUTE

Der nämliche hirte erzählte mir (1851):

Vor vielen jahren gab es im Lesachthale in den wäldern und auf den alben solche kleine leute, die von rechtswegen nur geister sind, und die man, weil sie den menschen nichts zu leide, wohl aber viel gutes thaten, die 'guoten leutian' hieß. denn gar oft füllten sie einem hirten, der ihnen ein 'reindile' voll milch gab, dasselbe mit rothem golde an. sobald aber die menschen im Lesachthale immer znichter und znichter gewor-den sind, hoben die guten leute an, sich zu verlieren, und heutzutage sieht man von ihnen nichts mehr, als einige löcher in den felsen, wo sie gewohnt hatten. ein alter hirte, der ihnen gar oft milch gegeben, war so 'fürwitzig', sie über die zukunft zu befragen. er erhielt folgenden bescheid: 'wenn der welt untergang nahe ist, werden die leute rothe, wie 'milchseichen' geformte hüte aufsetzen, die häuser werden ihnen zu eng, die welt zu klein werden, und so schlechte zeiten werden eintreffen, daß zwei bauern zusammen nur einen rock haben, und sich oft aus hunger um einen eselskopf raufen werden. bald darauf kommt der Türkenkrieg. die Türken werden aus ihrem land nicht heraus wollen, aber ein engel wird sie beim schopf hervorziehen und elend und jammer wird entstehen. die Türken kommen nun das dritte mal 'in's Deutschland' und gar bis Köln am rheine. da erbarmt sich gott wieder der Christen und schenkt ihnen den sieg. vom türkischen lager steigt ein schwarzer rauch empor, der vom winde zusammen und als dicke wolke wieder in den rhein gedrückt wird. das sehen die Christen für ein zeichen an, daß für die Türken die zeit aus ist und fallen mit 'neuer schneid alla wanda hin drin, und treiben sie so weit aus dem lande, als der schwarze rauch vom rhein getragen wurde. - aber das ende der welt ist da.'


Der aus Liesing stammende Germanist und Sprachforscher Prof. Dr. Matthias von Lexer (1830 - 1892) verbrachte seine Ferien meistens auf der Alm als "Zuepate" (Jemand, der dem Hirten behilflich ist). Aus dieser Zeit rühren drei Sagen aus dem Lesachtal, die ihm ein Hirte erzählt haben soll. Diese veröffentlichte er in "Frommann´s Mundarten" (1855). Lexer war damals ein vehementer Verfechter der Kleinschreibung und hat die Sagen in dieser Form festgehalten.


Quelle: Sagen und Geschichten aus dem Lesachtal, gesammelt und niedergeschrieben von den Schülern der 2. Klasse der Hauptschule Lesachtal Schuljahr 2000/2001, unter den Anleitungen von Hans Guggenberger und Edith Unterguggenberger