DER BERGGEIST IN DER SCHWARZEN KLUFT
Hoch oben im Gamsgebirge, drei Wegstunden oberhalb von St. Lorenzen, steht ein großer Felsen, der in der Mitte gespalten ist.
Vor vielen Jahren hauste in diesem Gebirge ein Berggeist, der dort unermüdlich im Felsen auf und ab und in den Klüften ein und aus ging. Schon mancher kühne Jäger hatte vor ihm die Flucht ergriffen, denn er entwurzelte die stärksten Bäume und hatte das schöne Edelweiß, das früher in dieser Gegend wuchs, von hier verbannt. Die Gämsen erstarrten vor Schrecken vor dem Geist. Ihm beizukommen war unmöglich. Schlich sich ein Jäger an ihn heran, um ihn vor die Büchse zu bekommen, so sah er diesen schon von weitem, riss Felsblöcke herab und schleuderte sie mit einer Geschwindigkeit zu Tal, dass man das Getöse weithin hörte. Als Kleidung trug er ein schwarzes Fell und auf dem mächtigen Kopf einen Hut mit einem schönen Gamsbart. Gar manche Tage sang er oben auf seiner Höhe, dass die Felsen zitterten und man ihn weithin hörte. Oft aber fluchte er so kräftig, dass der Widerhall von der anderen Seite des Tales kam. Seine glücklichsten Stunden verbrachte er auf jenem hohen Felsen, von dem er jede Gämse sah und wo er manch kräftiges Weidmannsheil ausrief.
Eines Tages saß er wieder auf seiner Felsenwarte, man hörte ihn aber erbärmlich weinen und heulen. Er mochte wohl das Ende seines Lebens nahen fühlen. Die Leute liefen aus den Häusern um zu sehen, was ihm geschehen sei. Der Berggeist nahm Abschied von seiner Heimat, von den lieb gewordenen Felsen und Gämsen. Auf einmal tat es einen fürchterlichen Knall, der Felsen spaltete sich und die Blöcke begruben ihn.
Seit damals war wieder Ruhe im Gebirge, der Felsen aber ist heute noch zu sehen und heißt die "schwarze Kluft".
Quelle: Sagen und Geschichten aus dem Lesachtal,
gesammelt und niedergeschrieben von den Schülern der 2. Klasse der
Hauptschule Lesachtal Schuljahr 2000/2001, unter den Anleitungen von Hans
Guggenberger und Edith Unterguggenberger