Die Beute von Grandson
Als der Herzog von Burgund, Karl der Kühne, mit den Eidgenossen im Kriege lag, stellte er sich eines Tages mit seinem glänzenden Heere beim Städtchen Grandson zum Kampf auf. Es war am 3. März 1476. Da sah er ob sich durch die Weinberge herab eine Schar Schweizer ziehen, die ihn also gering dünkte, daß er laut auflachte. Es war aber nur ein Vortrab der Eidgenossen, eine Schar Berner, Schwyzer, Luzerner und Solothurner, die dem Hauptheer vorausgeeilt war. Wie nun diese Eidgenossen das große Heer des Herzogs unter sich erblickten und seinen Lanzenwald und seine Harnische in der Sonne funkeln sahen, warfen sie sich auf die Knie nieder und riefen mit ausgebreiteten Armen zu Gott, dem Lenker der Schlachten. Da lachte der Herzog von Burgund noch lauter und sagte: "Bei St. Jörg, diese Feiglinge haben Furcht, sie rufen um Gnade. Aber beim heiligen St. Jörg wette ich, daß sie alle unser sind!" Sogleich ließ er die Geschütze auf die Eidgenossen losbrennen und rückte mit seinem sieggewohnten Heere gegen sie vor.
Aber die Schweizer waren aufgesprungen und schlugen alle Angriffe ihrer weit überlegenen Feinde tapfer zurück. Doch immer weiter trieb Karl der Kühne sein Kriegsvolk an, und bald staken die Eidgenossen bös in der Klemme und vermochten sich kaum der Übermacht zu erwehren. In dieser höchsten Not ertönte auf einmal ein fernes, dumpfes Brüllen und ein seltsames Brausen, als ob der Föhnsturm im Anzuge wäre und auf den Höhen schon die Wälder rüttelte und schüttelte. Wie nun die Burgunder verwundert aufschauten, sahen sie auf den nahen Höhen ein Blitzen und Gleißen, und jetzt ertönte dreimal gar gewaltig das Urner Heerhorn, der Stier von Uri, und die Rolandshörner von Luzern. Und darein brüllte dumpf die Kuh von Unterwalden. Da ward es den Burgundern unheimlich, und als der Herzog fragte, was das für ein Heervolk sei, antwortete ihm der Ritter Brandolf von Stein: "Ja, gnädiger Herr und Fürst, das sind nun erst die rechten alten Eidgenossen!"
Und als nun der Gewalthaufe der Schweizer mit brausendem Kriegsgeschrei, voraus die Zürcher, Schaffhauser und Glarner, von den Höhen herabstürzte, erbleichte der Herzog, und das Lachen verging ihm. In sein glänzendes Heer war das Entsetzen gefahren. Alle Schlachtordnung löste sich auf, und über Kopf und Hals machte sich alles in wilder Flucht davon. Umsonst suchte der kühne Herzog seine Reiter zum Stehen zu bringen, er wurde mitgerissen. Als der Gewalthaufe der Eidgenossen das Lager des Herzogs eingenommen und sein Heer in die Flucht geschlagen hatte, fielen alle Krieger auf die Knie und dankten Gott für den Sieg.
In dem Zeltlager der Burgunder aber fanden die Eidgenossen eine unermeßliche Kriegsbeute, die sie staunen machte. So viel Gut und Kostbarkeiten hatten sie nie gesehen, kaum geahnt. Nicht nur fanden sich die großen Hauptbüchsen, Feldschlangen und Hakenbüchsen, sondern auch Pulver genug und über zehntausend Rosse. Und Spieße, Mordäxte, Armbrüste und andere Waffen und eine Unzahl, mehr als siebenundzwanzig, Hauptpanner. Auch waren da vierhundert mit Seide behangene Zelte. Und gar das Zelt Karls des Kühnen glänzte außerhalb von vergoldeten, mit Perlen besetzten Wappen. Innerhalb war es mit Samt ausgeschlagen. Ein goldener Thron stand darin, und um diesen lagen des Herzogs Schätze, vor allem sein Prunkschwert, das sieben große Diamanten und je sieben Rubine, Saphire und Hyazinthen am Handgriff schmückten. Der Rosenkranz, den man fand, war aus Edelsteinen gemacht, und ein Kästchen, strahlend von Edelsteinen, barg schmucküberladene Reliquien der zwölf Apostel. Ein rotsamtenes Gebetbuch war da, mit Gold und Malereien geziert. Und in seiner Zeltkapelle stand eine goldene Monstranz. Das goldene Staatssigill wog ein ganzes Pfund. Überall gleißte und funkelte es von goldenen und silbernen Bechern, Tellern und anderem Geschirr und kunstvoll gearbeitetem Zierat. Auch fanden sie in dem herzoglichen Gezelte vierhundert Reisekisten, die silberne und goldene Stoffe und unerhörten Überfluß an Seide enthielten. Die Eidgenossen achteten die reichen Sachen gering und verkauften die feinen Tücher um ein paar Groschen. Die Geldvorräte aus der Kassenkiste verteilten sie mit ihren Blechhüten unter sich. Das Kostbarste aber waren drei hühnereiergroße Diamanten. Der erste war der größte in der Welt. Er galt Karl soviel wie eine Provinz. Er verlor ihn in einem Kästchen auf der Flucht. Ein einfacher Schweizer Kriegsmann fand ihn. Er warf ihn wie ein Stück Glas verächtlich unter einen Wagen. Doch las er ihn wieder auf. Der Pfarrer von Montagny gab ihm einen Gulden dafür. Der überließ ihn den Bernern für drei alte Franken. Aber in der Stadt Bern erwarb ihn nachmals ein reicher Bürger namens May um fünftausend Gulden. Er verkaufte den Diamanten nach Italien an genuesische Kaufleute, und die verkauften ihn weiter um ein großes Geld an den Herzog Sforza von Mailand, bis ihn endlich um zwanzigtausend Golddukaten Papst Julius II. erwarb, so daß der herrliche Edelstein immer noch in der dreifachen päpstlichen Krone strahlt. So unerschöpflich groß war die Beute, daß die Eidgenossen nachher auf Karl den Kühnen ein Gedicht machten, worin es hieß:
"Dein Gut ist jetzund worden feil.
An die Eidgenossen kam ein gutes Teil.
Des magst du dich wohl schämen!
Tut dir der Spaß nicht also weh,
so komm nur wieder und bring noch meh´!"
Und der Herzog von Burgund kam nach der Niederlage bei Grandson wirklich noch einmal, und zwar mit einem noch größeren Heere, in die Schweiz gezogen. Aber bei dem Städtlein Murten am Murtnersee wurde er ein zweitesmal gar gewaltig aufs Haupt geschlagen.
Als nun diese Schlacht beendet war, schickte der Hauptmann der Freiburger, deren Stadt sehr in Angst war, einen jungen Burschen ab, der seiner Vaterstadt den Sieg so schnell als möglich verkünden sollte. Der behende Bursche hatte eben einen grünen Lindenzweig auf seinen Blechhut gesteckt. Wie der Wind stürmte er davon, und obwohl er einen langen Weg hatte und die Sonne heiß brannte, sah er doch bald die Türme der guten Stadt Freiburg im Üchtlande auftauchen. Da griff er doppelt aus. Atemlos jagte er endlich durchs Stadttor. Als er nun auf dem Rathausplatz anlangte, trieb er mit kräftiger Faust seinen Spieß in die Erde und rief: "Sieg, Sieg!" Dann fiel er um und war tot. Man nahm danach den Lindenzweig von des Jünglings Blechhut und pflanzte ihn da, wo der zusammengesunken war, in den Boden. Und siehe, Gott gab ihm Gedeihen, das nichtsige Zweiglein wurde zur Riesenlinde, deren morscher Stamm bis in die jüngste Zeit noch auf dem Rathausplatze zu Freiburg stand.
Der Herzog von Burgund, Karl der Kühne, aber kam nach der gewaltigen Niederlage bei Murten noch ein drittesmal mit einem Heere. Aber da schlugen ihn die Eidgenossen bei dem Städtlein Nancy so heillos, daß sein Heer völlig vernichtet wurde. In jener Zeit machte dann das Schweizervolk auf ihn ein Sprüchlein, das hieß:
"Karl verlor bei Grandson das Gut,
bei Murten den Mut,
bei Nancy das Blut."
Quelle: Meinrad Lienert,
Schweizer Sagen und Heldengeschichten, Stuttgart 1915.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Bettina Stelzhammer, Jänner
2005.