200. Bühl-Anneli auf Spillberg bei Ragaz
Bei den Schloßruinen von Spillberg soll von Zeit zu Zeit ein Geist umgegangen sein, den die Umwohner das Bühl-Anneli nannten.
Eine in der Nähe wohnende Frau wollte es bedünken, daß im Herbste, wenn sie morgens am Fuße des Hügels, auf welchem die Reste des Schlosses moderten, das von den Bäumen gefallene Obst auflesen wollte, ihr schon zu öftern Malen jemand zuvorgekommen sei; denn sie erwartete, mehr Obst zu finden, als sie antraf. Daher nahm sie sich vor, einmal recht frühzeitig zu gehen, um den Dieb zu sehen. Und wirklich, als sie am nächsten Morgen sehr frühe unter die Bäume zog, sah sie eine Frauensperson sehr eifrig mit Auflesen beschäftigt, welche bei ihrem Näherkommen sich gegen die Ruine hin entfernte, jauchzend und rufend: "Juchhe, lies uf! Juchhe, lies uf!" Sie verschwand in dem Gemäuer.
Das war das Bühl-Anneli. Die Frau ging nicht mehr so früh unter die Bäume, Unglück fürchtend, wenn sie das Anneli nicht gewähren ließe; denn es sei der Alten nicht zu trauen gewesen, wenn sie erzürnt worden.
Auch ein Jäger, der früh auf die Jagd ging, um in der Nähe
der Burg Füchsen aufzulauern, konnte keinen derselben erlegen; denn
wenn er den Fuchs sah und auf ihn anlegte, bekam die Flinte von unsichtbarer
Hand einen Schlag, daß er das Tier nicht traf. Auch das war das
Bühl-Anneli, welches das Wild in seinem Revier beschützte.
I. Natsch.
Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni,
St. Gallen 1903, Nr. 200, S. 97f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Irene Bosshard, Juni 2005.