314. In Gottes Namen.
Ein fahrender Schüler kehrte alljährlich bei einem Bauer am Großberg ein und übernachtete bei ihm. Da traf es sich, daß der Mann zur Zeit eines solchen Besuches mit einem Knäblein beschenkt wurde. Der zauberkundige Schüler las in den Steinen und sagte zu dem Bauer: "Es wäre besser, du hättest ein Kalb bekommen. Das Kind ist in einer Unglücksstunde geboren worden und wird sich erhängen." Da fragte der Vater, ob das Verhängnis unabwendbar sei. Der Schüler antwortete, es könne nur verhütet werden, wenn der Knabe später bei allem, was er tue, die Worte spreche: "In Gottes Namen!" Der Knabe wurde so gewöhnt, bei jedem Werk die gemeldeten Worte zu sagen.
Als er zwölf Jahre alt war, kam er zufällig zu einem Strick.
Er ging damit auf die Oberdiele und wollte das eine Ende über einen
vorstehenden Dachbaum werfen. Dort saß eine schwarze Katze und suchte
mit den Pfoten den Strick zu fangen. Der Knabe rief ihr jedesmal zu: "Jetzt
halt ihn in Gottes Namen!" Aber wie er das aussprach, ließ
die Katze den Strick wieder fahren. So wurde der Knabe vor einem gewaltsamen
Ende bewahrt.
J. B. Stoop
Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen,
Jakob Kuoni, St. Gallen 1903, Nr. 314, S. 177
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Irene Bosshard, August 2005.