358. Die Lilien
Ihrer zwei, die sich drunten im Tale nicht vertragen wollten, konnten dies auch droben nicht in der Alp, wo sie einmal unverhofft einander trafen. Auch da gab's Händel, und der eine erschlug den andern und verbarg die Leiche so, daß er hoffen konnte, sie wäre nicht gar aufzufinden. Bald machte er sich auf den Heimweg, Auf einem Felsband, nahe am Wege, sah er einen Busch prächtiger „Ilgen" (Berglilien). Er brach eine und steckte sie auf seinen Hut. Im Dorfe traf er mit Bekannten zusammen. Die fragten ihn, wie er zu der sonderbaren Hutverzierung gekommen sei. Er besah den Hut und statt der Blumen fand er dort eine Menschenhand. Sprachlos und leichenblaß stand er da. Man nahm ihn fest. Er bekannte und gab die Stelle an, wo die Leiche zu finden sei. Der Täter wurde zum Tode verurteilt und mit dem Schwerte hingerichtet.
O. Giger.
Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni, St. Gallen 1903, Nr. 357, S. 200
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Irene Bosshard, November 2005.