229. Der heilige Martin

Auf seiner Rückreise von Rom den Weg verfehlend, sei Ritter St. Martin auf die Spitze des Ringelberges gekommen und habe von da in die schauerliche Tiefe des Taminabettes hinabgeblickt. Dem Pferde die Sporren in die Weichen drückend, habe er ohne sich weiter zu besinnen, in einem kühnen Sprunge 2400 Meter hinabgesetzt, ohne daß Roß oder Reiter den geringsten Schaden erlitten. Heute noch steht man auf der sog. Höhe, am Wege nach Kalfeisen, die Formen der vier Hufeisen auf einer Steinplatte, auf welche das Pferd abgesetzt hat. Wegen dieses Wunders wird Martin als Heiliger verehrt, und als solcher ist er auch der Patron der Kapelle in Kalfeisen, die seinen Namen trägt und in welcher ihm ein Standbild zu Pferd errichtet ist. Der Kirchenverwaltungsrat von Vättis kleidet dasselbe alle Frühjahre mit einem roten Reitermantel. Während des Sommers kommen die Alpenbesitzer, und ein jeder schneidet ein Stück, weil es gut gegen Krankheiten und Viehseuchen sei, davon ab, so daß der hl. Martin im Herbst wieder entblößt auf seinem Pferde sitzt und die Reliquie vergriffen ist.
"Oberländer Anzeiger."


Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni, St. Gallen 1903, Nr. 229, S. 113f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Irene Bosshard, Juni 2005.