77. Der Stiefelhans

Auf dem Appenzellerberge Siegel gilt die Sage vom Stiefelhans. Er soll hier noch vor vierzig Jahren gespukt haben. Er war Rheintaler-Ammann gewesen und hatte Wucher und Betrug auf allen erdenklichen Wegen getrieben. Lag jemand im Sterben bereits sprachlos, so kam der Stiefelhans ans Bette herbei, hielt dem Verscheidenden eine Schuldforderung vors Gesicht und brachte ihm mit einer Handbewegung den Kopf zum Nicken. So erpreßte er alle Erbschaften. Zuletzt, da er selber starb, beschwor man seinen Geist hin in die Alp am Säntis, die sonst den Rheintalern zugehörte. Da hielt er sich oben in der Berghöhe, welche man den Stiefel heißt, als Ungeheuer auf, jagte dem Hirten die Weidkühe in den Stall und fraß mit den Schweinen aus dem Trog.
Rochholz, Schweizersagen.

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Stiefelhans war ein betrügerischer Ammann vom Rheintal, dem kein Mittel zu schlecht war, wenn es galt, sich Reichtümer zu verschaffen. Er wandte die verwegensten Kniffe an, die nur zu oft von Erfolg begleitet waren. Einmal jedoch wurde sein Betrug entdeckt. Vom heftigsten Zorn ergriffen, hieb ihm ein Senn mit einem "Herdgeiter" (Holzmesser) den Kopf vom Rumpfe. Doch plötzlich war der Enthauptete verschwunden. Seitdem trieb sich der Ammann als Gespenst in Oberriet herum. Er ließ in der Nacht das Vieh von den Ketten, lähmte Pferde und plagte die armen Bauern fortmährend. Ein Kapuziner verbannte den "bösen Geist" auf die Schwemm seine Alp unter dem Kamor). Weil aber hier der Durchpaß groß ist, hatte er auch da wieder Gelegenheit, an den vorüberziehenden Herden seine böswilligen Absichten auszuüben, und man war genötigt, wieder einen Pater kommen zu lassen, welcher das Scheusal in den hintersten Teil der Alp Säntis, zum Stiefel, verbannen mußte. Hier trieb er sein Unwesen zuerst bis zum "Scheien-Roßberg", nächst der Alp Soll. Als aber sein vorbestimmtes Lebensende näher rückte, so verengten sich auch die Grenzen seines Wirkungskreises. In letzter Zeit trieb er seinen Spuk nur noch in der Alp Säntis selbst. Wenn einer "zauerte" und es antwortete ihm einer mit "Zauren", so war dessen Vieh in seiner Gewalt. Von da an datiert das "Ave Mariarufen". Einige glauben, dieses Rufen habe den Stiefelhans zur Ruhe gebracht; andere aber mutmaßen, daß seine sonst festgesetzte Laufbahn nun zu Ende sei.
Roman Sutter.

Führt ebenfalls auf Wodan zurück.

Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni, St. Gallen 1903, Nr. 77, S. 34f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Irene Bosshard, April 2005.