107. Von den Stumpern und Markenrückern
Da im Werdenbergischen Grund und Boden stark verstückelt sind, kann
das Vieh im Herbst meistens nicht geweidet, sondern nur "gestumpet"
werden. Jedes Tier wird dabei vermittelst einer zwei bis drei Meter langen,
an einem Pfahle drehbaren sogenannten "Hafte" auf der Wiese
angebunden. Wann es das Gras abgefressen hat, "gibt man nach",
d. h. der Pfahl wird gerückt. Es gab aber auch unehrliche Stümper;
diese schlugen die Pfähle derart ein, daß ihr Vieh auf Nachbars
Grund und Boden fressen konnte. Solche erhalten, wie es recht und billig
ist, ihre Strafe; denn sie müssen nach ihrem Tode stumpen. Solche
Stumper hört man zur Nachtzeit öfters aus dem Studner- und Stadtner-Riet.
Noch größere Strafe erhalten, wie alte Leute erzählen,
selbstverständlich solche, welche durch Verschieben von Grenzzeichen
sich sogar den Boden ihrer Nachbarn aneignen wollen, die "Marchenrücker".
Sie finden niemals Ruhe im Grabe und rücken immer vergeblich die
"Marchen" auf die richtige Stelle zurück. Auch die Irrlichter
sind auf sie zurückzuführen.
Heinrich Hilty.
Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni,
St. Gallen 1903, Nr. 107, S. 52
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Irene Bosshard, Mai 2005.