172. Das Urtel

Unweit des Städtchens Sargans befindet sich auf den Rietern gegen den Bahnhof hin ein großes Quellenloch, "Urtel" genannt. Hier stand vor Zeiten eine Stadt, welche zur Strafe für die Sittenlosigkeit ihrer Einwohner untergegangen ist. Das benannte unergründlich tiefe Loch bezeichne die Stelle, wo das Rathans gestanden, in welchem weder Recht noch Gerechtigkeit gehandhabt worden.

Einst wollte jemand mit einem Faden die Tiefe des Loches messen; da rief es aus diesem herauf:

"Ergründest du mich,
So verschlinge ich dich!"

Der Betreffende unterließ nun das Messen. Nicht weit davon, nämlich auf den Malervawiesen, am Fuße des Gonzen, hat der Historische Verein von St. Gallen im Jahre 1865 die Grundmauern ausgedehnter römischer Wohngebäude und Bäder ausgraben lassen, welche beweisen, daß die Sage von einer alten Stadt nicht ein bloßes Phantasiegebilde ist. Sie soll Ordelium geheißen haben.
J. Natsch.

Jetzt geht der Saarkanal durch das "Urtel".


Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni, St. Gallen 1903, Nr. 172, S. 81f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Irene Bosshard, Mai 2005.