324. Des Vaters Geist
Ein Bauer im Fäsch bekam von seinem Bruder aus Amerika Geld, um damit den alten Vater zu unterstüzen. Er behielt es für sich und überließ den Vater der Armenbehörde. Als der Bauer jung starb, zeigten die kleinen Kinder an den Samstagabenden auf eine dunkle Stelle unter der Kammerstiege und sagten: „Mutter, lug, dort ist der Vater." Das wiederholte sich einige Zeit. Die Frau sah nichts, fürchtete sich aber doch und ließ einen Kapuziner von Mels kommen, der dann den nähern Sachverhalt erfuhr und entschied, dass begangene Unrecht müsse gut gemacht werden. Geld war keines mehr vorhanden. Die Witfrau musste an die Gemeindeversammlung die Bitte stellen, die Schuld möchte ihr nachgelassen werden. Auf das Gutachten des Verwaltungsrates wurde dies einstimmig beschlossen laut Verhandlungsprotokoll. Von da an hatte die arme Seele des abgeschiedenen Vaters Ruhe und erschien nie mehr.
J. B. Stoop
Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen,
Jakob Kuoni, St. Gallen 1903, Nr. 324, S. 181
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Irene Bosshard, September 2005.