Der Schreier von Rosenberg
Eine Stunde weit von Rosenberg, links von dem großen Wasser Wulda,
wirtschaftete am Hofbauernhaus in Sabratne ein Bauer, der hatte einen
starken Hals, und wenn er in der Kirche betete, so wackelte der Altar,
und wenn er im Wald schrie, da fielen schier die Rabennester von den Bäumen.
Weil er ein gerader Michel war und kein Geheimtuer, so machte er sich
manchen zum Feind. Auch der Richter von Rosenberg konnte den geschrieenen
Mann nicht leiden, und er ließ ihn einmal kurzweg greifen und am
Rosenberger Schloß in den Hungerturm sperren. Der Turm ging so weit
in den tiefen Fels hinunter, als er hoch war, und drunten lag der Hofbauer
gar manchen lieben Tag und seufzte. Einmal zur Sommerszeit wollte sich
der Richter eine Kurzweil schaffen, und er gab dem Bauer zu wissen, wenn
er so laut schreie, daß ihn seine Hausleute in Sabratne hören,
dürfe er frei davongehen. Stracks stellte sich der Bauer auf den
Turm und schrie: "Führt das Korn heim!" Und der Schrei
flog wunderbar weit über die Wälder und über die Wulda
hin, und die Knechte daheim hörten ihren Herrn und führten schleunig
aus, was er sie geheißen. Der Schreihals wurde um seiner Kunst willen
aus dem Turm gelassen, ob er aber sein Maul seither besser behütet
hat, selbes weiß man nimmer.
Quelle: Hans Watzlik, Böhmerwald-Sagen, Budweis 1921 (Böhmerwalder Dorfbücher, 5. Heft)