Halbscheid!

Bei der Nikolaikirche in Bergreichenstein ist eine Kammer, drin liegen hundert und noch mehr Totenschädel auf einen Haufen geschüttet. Da kam einmal in stockrabenfinsterer Nacht einer aus böser Ursache zu dem Beinhaus und hörte es drin gar wunderlich rollen und scheppern. Die Neugier trieb ihn, und er hielt das Ohr hin und loste heimlich zu. In der Kammer drin knotzten zwei Jenseitige, sie verteilten die Schädel unter sich, wollten damit Kegel Scheiben. Der Klügere teilte, er erklenkte einen Schädel und raunte: "Da hab ich eine Kugel, und da hast du eine, und weil du eine hast, so nehme ich mir auch eine." So hatte er zwei Schädel zwischen den Knien, der andere aber, der Einfältige, hatte nur einen und war betrogen. Und jetzt zahnte der erste mit seinen gelben Zähnen und hub wieder das nämliche Spiel an. "Dasmal fang ich wieder bei mir an. Da hab ich eine Kugel, und da hast du eine, und weil du eine hast, nehme ich mir auch eine." Jetzt grauste dem, der da verstohlen lauerte, vor dem Betrüger und vor dem Betrogenen, und er sprang über die Freithofsmauer davon und traute sich in selbiger Nacht nimmer, das goldene Monstränzel aus der Kirche zu rauben.

Quelle: Hans Watzlik, Böhmerwald-Sagen, Budweis 1921 (Böhmerwalder Dorfbücher, 5. Heft)