Der Kaiser im Berg
In dem Berg unterm Ödschlössel ist der Kaiser Karl mit
seinen Rittern verzaubert.
Vor Zeiten rastete einmal ein blutjunger Kaplan auf den Trümmern des Ödschlössels. Da winkte ihm ein Zwerg aus einem verfallenen Gang und führte ihn tief in den Berg hinein, und sie kamen in wunderbare Zimmer, eines war schöner als das andere, daß dem Geistlichen die Augen wehtaten vor lauter Glanz. In einem Zimmer war ein Tisch voller Kuchen und Braten und süßen Wein, dort aß und trank der Kaplan nach Herzenslust, und auch ein Himmelbett war dort zum Schlafen. Bevor der Zwerg ging, zeigte er ihm ein schwarzverhangenes Fenster und sagte: "Durch das Fenster darfst du nit schauen!"
Wie der Kaplan aber sich ausgeschlafen hatte, schaute er allweil das
schwarze Tuch an, und schließlich konnte er sich vor seiner Neugier
nimmer retten, und er schob das Tuch ein wenig weg. Da sah er einen riesigen
Saal, drin funkelte es von Gold und Edelsteinen, an der Wand standen eiserne
Ritter, und mitten im Saal schlief auf einem goldenen Sessel der uralte
Kaiser, und seine schöne Tochter kämmte ihm den weißen
Bart, der siebenmal um den Tisch gewachsen war. Wie dem Kaplan vor Schauen
die Augen übergingen, stand der Zwerg neben ihm und vertrieb ihn
mit wilden Gebärden aus dem Berg. Jetzt ging er nach Bergreichenstein
zurück. Aber die Stadt war mit ihren Häusern und Gassen ganz
verändert, und in den Gassen gingen lauter fremde Leute auf und ab,
und er kannte niemand, und niemand kannte ihn. Und wie er im Pfarrhof
nachfragte, so kam er darauf, daß er hundert Jahre im Berg verbracht
hatte. Er war auf einmal ein eisgraues krummes Männlein und sank
um und starb.
Quelle: Hans Watzlik, Böhmerwald-Sagen, Budweis 1921 (Böhmerwalder Dorfbücher, 5. Heft)