Nachtmönche
Im roten Turm des Schlosses zu Gratzen schlief in einer Stube eine Wöchnerin
mit ihrem neuen Kind. Die Hebamme wachte bei ihr, und wie das Weib zum
Fenster hinaus schaute und der Mondschein blendhell an der Burgmauer lag,
da tat sich drunten die Mauer auf, und auf unterirdischen Staffeln stiegen
zwölf Mönche herauf. Sie hatten die finstern Kutten mit Stricken
gegürtet, ihre Barte hingen lang und eisgrau, und die Gesichter waren
schlohweiß, die Augen kehrten sie zur Erde und in ihren Händen
brannten hohe Kerzen. So schritten sie langsam und ohne Laut an dem alten
Schloß dahin und durch die Mauern hindurch, als ob sie Spinnwitten
wären, und verschwanden. Die Wärterin schauderte und meinte,
die Mönche künden ein wildes Unglück an.
Quelle: Hans Watzlik, Böhmerwald-Sagen, Budweis 1921 (Böhmerwalder Dorfbücher, 5. Heft)