Der Pater Michael
In Andreasberg war einmal ein Pfarrer, und der mußte wohl in einer
schweren Sünde gestorben sein, weil er im Tod keine Ruhe fand. Im
Fürstenzimmer des Pfarrhofes meldete sich nachts sein Geist und ging
auf und ab, als ob er eine Predigt auswendig lerne, und seine Schuhe krachten.
Der Pater Michael hatte den Verstorbenen gut gekannt, und drum schrieb
er ihm zwei Briefe. In dem einen stand, der Geist soll kund tun, was er
begehre und wie er erlöst werden könne. Im andern Brief schaffte
der Pater ihn von der Welt ab, wenn seiner Seele nimmer zu helfen wäre.
Die zwei Briefe legte der Pater abends in das unheimliche Zimmer und sperrte
es ab und nahm den Schlüssel zu sich. In der Frühe war der zweite
Brief verschwunden, und es weihte seitdem in dem Fürstenzimmer nimmer
an. Das nahm sich der Pater Michael zu Herzen, er wurde ein stiller Mann
und schied sich von den Freuden, die die Welt gibt. Als er starb, hielten
ihn die Leute für einen Heiligen, und sein Leib verwest nicht, trotzdem
daß er schon hundert Jahre begraben ist.
Quelle: Hans Watzlik, Böhmerwald-Sagen, Budweis 1921 (Böhmerwalder Dorfbücher, 5. Heft)