Der seltsame Sepp

In Eisenstein lebte ein einschichtiger Mann, der ging von Hof zu Hof in die Kost und ließ sich dabei zu allerhand Arbeit brauchen: fehlte ein Knecht, so machte er den Knecht; ging ein Ochsenbub ab, so machte er den Ochsenbuben; wohin man ihn stellte, dort taugte er. Er hatte viel Wunderliches in sich, und er lachte allemal, wenn einem etwas gestohlen wurde, und sagte: "Den Dieb kann man stellen; aber man muß das wissen, was ich weiß."

Da mähten einmal die Leute, und der Sepp, so ließ sich der Bruder Seltsam schreiben, half dabei fleißig aus. Zu Mittag gingen sie essen, und der Sepp hängte seinen Mähdergürtel an einen Wagen. Wie sie wieder auf die Wiese kamen, war der Gürtel samt dem Kumpf und dem Wetzstein gestohlen. Jetzt spotteten alle: "He, Sepp, du kannst ja was! Jetzt schau dazu, daß du wieder den Gürtel kriegst!" Der Sepp ging gleich ins Dorf und bat um eine Kreide, um eine Wachskerze und um ein Häflein, drin noch nichts gewesen war. Dann zog er mit der Kreide einen Kreis um sich und zündete die Kerze an, hernach stürzte er das Häflein um, gab das Licht darauf und stellte es zwischen seine Füße und fing an, aus einem schwarzen Büchel zu lesen. Da packte der Zauber den Dieb, und wie weit er auch gegangen war, er mußte umkehren und den Mähdergürtel bringen. Jetzt wußten die Leute, daß der Sepp etwas konnte, und spöttelten nimmer. Im selben Jahr aber durfte der Sepp nicht beichten, und wenn er in der Kirche war, mußte er davon, ehe der Pfarrer den Weihbrunn spritzte. Auch sagte er damals: "Wenn ich heuer sterben sollt, dürft ihr mir keinen Geistlichen holen!"

Quelle: Hans Watzlik, Böhmerwald-Sagen, Budweis 1921 (Böhmerwalder Dorfbücher, 5. Heft)