Stilzel
"Houu!" brüllt es im Wald. Wandersbursch in der Nacht, dreh dich nicht um, der Stilzel ist hinter dir her! Dreh dich nicht um, sonst huckelt er dir auf und du mußt ihn tragen, bis du lechzest wie ein gehetzter Wolf und bis dir die Brust braust und die Knie brechen.
Der Stilzel war bei Lebzeiten ein Roßhirt bei den Heuhofer Bauern an der bayrischen Grenze. Hundert Rösser mußte er ins Waldgras treiben, und das war ein hartes Amt. Einmal vor dem Heimtrieb zählte der Stilzel die Herde, ob sich kein Roß vergrast und verloren habe in den weitläufigen Wäldern, und er zählte und zählte allweil nur neunundneunzig, weil er allweil wieder das Roß vergaß, darauf er gerade ritt. Das tat dem Stilzel Zorn und er fluchte und schändete so lästerlich, daß es schier Steine zum Himmel sprengte und daß die Bäume im Wald zitterten, und schließlich stellte er sich aufs Roß und hängte sich mit seiner Peitschenschnur an einem föhrenen Ast auf.
Der Geist des Stilzel aber ist ein rechter Schwänkmacher und Leutschreck. Nachts knallt er mit der Geißel und röhrt dazu wie eine Herde Kühe, da rennen die Grenzwächter daher und meinen, die Schwärzer täten etliche Rindlein Vieh ins Bayrische schaffen, und da verhoffen die grünen Wächter einen guten Fang. Aber auf einmal stecken sie bis an die Zwiesel im Morast und der Stilzel lacht wie der Satan.
Der Bärnloher brachte einmal seinen Wagen nicht vom Heck, die Ochsen konnten ihn nicht erziehen, und es war doch nicht ein Scheitlein Holz darauf. Der Bauer merkte gleich, wo es stank und daß sich da der Stilzel heimlich das Fäustlein reibe. Er schrie: "Stilzel, steig ab! Schuib an!" Handkehrum war das Fuhrwesen leicht und ging wie von selber dahin.
Zwischen Flöß und Heuhof liegt die Saumühle, dort war
der Ort, wo der Stilzel die Rösser hütete. Die alte Mühle
soll er selber auf dem Buckel hingetragen haben.
Quelle: Hans Watzlik, Böhmerwald-Sagen, Budweis 1921 (Böhmerwalder Dorfbücher, 5. Heft)