Seinem eigenen Begräbnisse beigewohnt

Vor Jahrzehnten lebte in Güns ein pensionierter Beamter, der schwer krank war und jeden gesellschaftlichen Verkehr mied. Aus seinem Erkerfenster blickte er oft stundenlang auf den kleinen Stadtplatz hinab, so daß man sich schließlich das Fenster ohne die alltägliche Erscheinung des Sonderlings gar nicht mehr vorstellen konnte. Diesem stillen, in sich verschlossenen Manne sagte man nach, er habe den bösen Blick, weshalb besonders Frauen sich nicht recht trauten, zum Erkerfenster hinaufzusehen. Als der Sonderling starb, gab es Leute, die fest und steif behaupteten, er habe sich seine eigene Einsegnung und sein Begräbnis von seinem Erkerfenster aus angesehen, und als die Glocken zu läuten begannen, soll er hinabgerufen haben:

"Nit laits, nit laits: Mir hammer ihn schon!" [Nicht läuten, nicht läuten: Wir haben ihn schon!]

Dann soll der Spuk im Fensterrahmen für immer verschwunden sein.


Quelle: Adolf Parr und Ernst Löger, Sagen aus dem Burgenland, Anton Mailly Wien/Leipzig 1931, Nr. 5, zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 98.