Die Schlangenhaut.
Wo war's, wo war's nicht, noch hinter dem Operenzmeer, noch hinter den
Glasbergen, da hatte ein eingestürzter Ofen kein Stückchen Seite
mehr; wo's gut war, da war's nicht schlecht, wo's schlecht war, da war's
nicht gut; da waren einmal auf dem kahlen Suchenicht- und Hund-frage-nicht-da-nach-Berge
sieben schlanke Weidenbäume, in deren jedem Zweige ist ein lappig-lumpiges
Hemd aufgehängt, und in deren jedem Saum, in jeder Falte ist ein
Scheffel Flöhe - und der sei der Hirte dieser Flohherde, der nicht
aufmerksam meinem aus Operenz geholten Märchen lauscht. Wenn ihm
aber auch nur einer davonspringt, so sei er dem schrecklichen Blutdurst
der Flohherde überantwortet, und sie mögen ihn zu Tode zwicken.
Also: Es war einmal ein armer Mann, und der hatte mit seiner Frau keine
Kinder. Schon zehn Jahre war's, dass sie verheiratet waren und hatten
kein Kind, nicht einmal eins, das so gross war wie mein kleiner Finger.
Einstmals in ihrem Kummer brach die arme Frau in die Worte aus: "Mein
Gott! Gieb mir ein Kind, sollt's auch gleich halb Schlange, halb Mensch
sein!"
Ihre Bitte wurde erfüllt; die Frau fühlte sich guter Hoffnung,
und Leben regte sich unter ihrem Herzen.
Und wie die Zeit herankam, brachte die Frau ein Kind zur Welt, aber Herrgott!
das Kind der Frau war, wie sie gebeten hatte, halb Schlange, halb Mensch,
so dass die Wehemutter, als sie dies Wunder erblickte, ihm den Lebensfaden
durchschneiden wollte; aber seine Mutter gab es nicht zu und sprach: "Was
Gott schickt, das trage ich in Geduld." Sie nahm es auf den Schoss,
herzte und küsste es, als ob es das schönste Kind auf der Welt
gewesen wäre. Und dieser Wunderwurm ruhte auch auf der schneeweissen
Wiese, und aus der Knospe der zwei schönen Goldäpfel schlürfte
er die Muttermilch, die süsser als Honig ist.
Schon siebzehn Jahre und elf Monate war der Wunderkäfer alt und konnte
weder gehen noch sprechen; immer sass er dort auf der Ofenbank wie ein
Sechseimerfass, ausser wenn er seinen Schlangenschwanz unter sich schlug
und sein gelbes, schuppiges Beinkleid klirrte: dies war seine Sprache,
dies das Lebenszeichen.
Als er just achtzehn Jahre war, nicht mehr, nicht weniger, beginnt das
Wundergeschöpf zu aller Welt Staunen zu sprechen, und sein erstes
Wort war:
"Liebe Mutter!"
"Was wünschest du, lieber Sohn?"
"Nicht wahr, liebe Mutter, hier in dieser Stadt wohnt ein König?"
"Er wohnt hier, mein Sohn, er wohnt hier."
"Nicht wahr, der hat eine sechzehnjährige, ob ihrer Schönheit
weltberühmte Tochter?"
"Die hat er, mein Sohn, die hat er."
"Nicht wahr, liebe Mutter, es wird jetzt ein Gemahl für sie
gesucht?"
"Jetzt, mein Sohn, jetzt."
"Nun, wenn ihr jetzt ein Gemahl gesucht wird, so geht in das königliche
Schloss, liebe Mutter, und sagt dem König, ich lasse ihn schön
grüssen, er soll mir diese seine einzige sechzehnjährige Tochter
zur Gemahlin geben."
Als der nächste Tag herankam, da legte die arme Frau ihr allerbestes
Lumpenkleid an und trat beim König ein. Sie grüsste ihn mit
diesen Worten:
"Gott zum Gruss, Majestät!"
"Schönen Dank, arme Frau! Aber was ist dein Begehr?"
"Gross ist meines Herzens Traurigkeit, und jetzt bin ich deiner Majestät
genaht, dass ich sie noch mehre:
Wie es deiner Majestät wohl bekannt sein mag, habe ich ein Wundergeschöpf
zum Sohn - aber, da er nun einmal da ist, so möge er auch bleiben
- dieser Sohn war bis zu seinem achtzehnten Jahre stumm und heute, Gottswunder!
begann er zum allererstenmal zu sprechen und sagte mir, ich solle deiner
Majestät einzige ob ihrer Schönheit weltberühmte Tochter
für ihn zur Gemahlin erbitten. Drum, wenn man mich auch rädere,
auch lebendig begrübe, stehe ich hier vor deiner Majestät."
Der König sagte gar nichts, sondern liess die arme Frau mit Schlägen
aus dem Schloss treiben.
Weinend wankte die arme Frau heim und klagte ihrem Sohn, was ihr geschehen
sei.
Der Wundersame beruhigte sie nur, tröstete sie nur, dass der Schleifstein
das alles schon wieder zurecht schleifen würde, und bat seine Mutter,
dass sie eine kleine Weile aus dem Zimmer gehen möchte.
Wie die Mutter des Wundersamen aus dem Zimmer gegangen war, stieg der
Sohn von der Ofenbank nieder, schüttelte sich, und die Schlangenhaut
fiel von ihm ab, und siehe! er wurde zu einem so schönen Jüngling,
dass es ihm sogar unter den Feen geziemt hätte, den ersten Platz
einzunehmen; aber vorher hatte er die Thüre zugemacht, den Riegel
vorgeschoben und auch das Fenster verhängt, dass kein lebendes Wesen
hineinsähe.
Dann nahm er die Schlangenhaut zur Hand und schüttelte sie siebenmal,
Zauberworte dazwischen sprechend; da erschienen die dienenden Geister.
"Was befiehlst du, lieber Herr?"
"Nichts anderes als dies: ihr sollt mir sogleich, in diesem Augenblick,
ein aus Erzblumen, lauterem Golde und Silberfäden geflochtenes Körbchen
herbeischaffen, und in das pflückt aus dem Feengarten, vom Glückseligkeitsbaum
allerlei Goldäpfel."
Kaum war des Gebotes letztes Wort verklungen, siehe! da stand schon auf
dem Tisch des Wundersamen Begehr. - In der Schlangenhaut, die er zum Staunen
der Menschen tragen musste, steckte all seine Zauberkraft.
Dann legte der Wundersame wieder die Schlangenhaut an, schob den Riegel
zurück, nestelte den Strick ab, nahm den Vorhang vom Fenster und
rief seine liebe Mutter herein.
"Liebe Mutter! Hier in diesem aus Erzblumen, lauterem Golde und Silberfäden
geflochtenen Korbe sind Goldäpfel; bringt die der Prinzessin zum
Geschenk, sagt, dass ich sie ihr zum Namenstage sende."
Die arme Frau bringt der Prinzessin das Geschenk und setzt es auf dem
Buchsbaumtisch nieder.
Die Prinzessin freut sich an dem Geschenk, stürzt damit gleich zu
ihrem Vater und lässt die Goldäpfel auf dem Tische rollen. Freut
sich der König daran, lässt die arme Frau rufen, sie solle in
das weisse Haus kommen. Traun, jetzt liess er sie nicht wie gestern mit
Schlägen hinausweisen, sondern er hiess sie sich neben ihn setzen
auf die goldene Bank, nahm ihre Hand, diese schwarze, schwielige Hand,
in der man Rettich hätte säen können, und sprach zu ihr:
"Nun, arme Frau, geh heim; sage deinem Sohn: Wenn morgen in der Frühe
eine Goldbrücke mein Haus mit deiner Hütte verbindet, so gebe
ich ihm meine Tochter."
Geht die arme Frau heim und berichtet ihrem Sohn, was der König sagen
liess: "Wenn morgen früh eine goldene Brücke sein Haus
und unsere Hütte verbindet, dann gibt er dir seine einzige weltberühmt
schöne Tochter." Der Wundersame sagte zu all dem gar nichts,
nickte nur mit dem Kopf, lächelte nur.
Als die Sonne untergesunken war und sich alles im Hause des armen Mannes
zur Ruhe begeben hatte, erhob sich der "Wundersame um Mitternacht,
streifte die Schlangenhaut ab und schüttelte sie siebenmal, Zauberworte
dazwischen sprechend; da erschienen die dienenden Geister.
"Was befiehlst du, lieber Herr?"
"Nichts anderes als dies: eine goldene Brücke verbinde diese
Hütte mit dem Königsschloss, und dazu plätschere unter
der goldenen Brücke ein Silberfluss, und in dem sollen sich Goldfische
tummeln. Aus dem Silberfluss sollen grüne Sammetinseln auftauchen,
und auf denen breite sich ein Blütenmeer, zahllose Blüten; auf
den Blüten sollen goldene Falter den Blütenhonig sammeln und
jeden Morgen auf einem Rosenteller zu den Lippen meiner königlichen
Braut tragen, dass seine Süssigkeit sie vom morgendlichen Schlummer
erwecke."
Kaum war das Wort entflohen, da war durch Zauberspruch des Wundersamen
Befehl erfüllt.
In der Frühe erwachte der König vom Morgenschlummer, lief schnell
ans Fenster und blickte hinaus, und fast wurde er zur Salzsäule verwandelt
vor Staunen, als er dort die Goldbrücke sieht, unter der Goldbrücke
einen Silberfluss, im Silberfluss eine grüne Sammetinsel, auf der
grünen Sammetinsel ein Blütenmeer, auf den zahllosen Blumen
allerlei zwitschernde, singende Vögelein und Blütenhonig sammelnde
Goldfalter. Auf die Lippen der weltberühmt schönen Prinzessin
aber senkte sich, als sie des süssesten Morgentraumes Milch schlürfte,
in unsichtbarer Gestalt ein Blütenhonig tragender Falter, und mit
seinem Honig versüsste er ihre Lippen.
Kaum hatte sie den Blütenhonig gekostet, da hatte sie einen Traum,
und dies träumte ihr: ein herrlicher, wunderschöner Prinz besuchte
sie, trat an ihr Bett, umarmte und küsste sie.
Als die weltberühmt schöne Prinzessin von dem Kuss erwachte,
fand sie in ihrem Bett ein goldenes Haar und eine goldene Schlangenschuppe.
Sie nahm beides auf und verbarg es in ihrem Busen. Von der Sache erzählte
sie niemandem etwas; aber als ihr lieber Vater zu ihr kam, ihr Glück
oder vielleicht ihr Unglück ihr kund zu thun, und als er sie fragte,
ob sie dem Wundersamen ihre Hand reichen wolle, antwortete sie: ja. Drei
Tage Frist bedangen sie für den Hochzeitstag.
Drei Tage, keine lange Zeit, aber für Brautleute dreiunddreissig
Jahre!
Drei Tage lagen noch vor dem Wundersamen, halb-Schlange-halb-Mensch; mit
drei Geschenken umwarb er seine Braut, in dieser Ordnung:
Als am ersten Tage der Schlummer aller Augen geschlossen hatte, stieg
der Wundersame von der Ofenbank und schüttelte sich, da fiel die
Schlangenhaut von ihm ab. Er schüttelte sie siebenmal, Zauberworte
dazwischen sprechend; da erschienen die dienenden Geister:
"Was befiehlst du, lieber Herr?"
"Nichts anderes als dies: Seht ihr jene grosse Waldwildnis längs
des Silberbachs? Nun, wenn ihr sie seht, so tragt sie auf der Stelle fort
zur mittelsten Mitte des Siedenden Meeres und lasst sie dort! Wenn ihr
sie niedergesetzt habt, kehrt um, und an ihrer Stelle werdet ihr einen
Hügel finden; auf den Hügel pflanzt den Garten der Glückseligkeit
mit den allerschönsten Blumen des Erdenrunds. Wenn ihr dann damit
fertig seid, so errichtet in seiner Mitte das Schloss der Glückseligkeit,
zweier Liebenden, eines glücklichen Paares Nest, auf diamantenen
Säulen, auf einer Regenbogenwölbung, das so viele Fenster habe,
wie ein Jahr Tage hat. Zum Wappen auf des Schlosses Giebel holt des Feenreiches
sonnenleuchtenden Karfunkel herbei, dass es keiner anderen Leuchte dort
bedürfe. Malt sieben Zimmer für meine Braut mit den sieben Farben
der Sonne aus, und den Boden bekleidet mit eben solchem Sammet; das achte
sei das Schlafgemach meiner Braut. Darauf verwendet die grösste Sorgfalt;
denn das wird die Kammer der Treue sein; darum bekleidet es mit der Farbe
der Unschuld, mit reinem, weissem Sammet und stellt eine Bettstatt hinein
aus Zweigen von lauterem Golde geflochten, mit edlen Perlen verziert,
mit Diamantnägeln beschlagen."
Kaum war des Befehls Zauberwort verklungen, da war es auch schon erfüllt,
und dort stand der schimmernde Palast inmitten des schimmernden Gartens,
so wie es bestellt war: ein goldenes Nest für ein Paar Goldvögel.
Früh morgens, als der König und seine Gemahlin und die Prinzessin
das Geschenk erblickten und als sie begriffen, dass dies ein Brautgeschenk
sei, traun, da fehlte nicht viel, dass ihren Herzen Flügel gewachsen,
dass sie davongeflogen wären, so pochten sie.
Dies war das Brautgeschenk am ersten Tage. Am andern Tag, als der Schlummer
mit seinen Rosenfingern alle in der Hütte des armen Mannes gefesselt
hatte, stieg der Wundersame, halb-Schlange-halb- Mensch, von der Ofenbank
und schüttelte sich, da fiel die Schlangenhaut von ihm ab. Schüttelte
er sie siebenmal, Zauberworte dazwischen sprechend; da erschienen die
dienenden Geister.
"Was befiehlst du, lieber Herr?"
"Nichts anderes," erwiderte der Wundersame, halb-Schlange-halb-Mensch,
"als dies: steigt hinab zum tiefen Meeresgrund, sucht dort die Feenkönigin
auf, die über den Wassern herrscht, und geht in ihren Wasserpalast,
den grosse, schnurrbärtige Walfische bewachen, und bestellt der Königin,
ich liesse sie grüssen und sie solle euch den Perlmutterschrein,
dazu zwölf Kammermädchen geben, der meiner Braut am Tage vor
der Hochzeit gebührt. Wenn ihr den empfangen habt, so setzt ihn auf
den Buchsbaumtisch meiner weltberühmt schönen Braut, dass ihr
Blick darauf falle, gleich wenn sie ihr Auge vom morgendlichen Traum aufschlägt."
Kaum war das Zauberwort verklungen, so war schon der Befehl erfüllt;
so dass die Prinzessin gleich, als sie ihr Auge aufschlug, den Perlmutterschrein
erblickte, und dann, wie sie umherschaute, standen zwölf der allerschönsten,
züchtigen Kammermädchen ihres Winkes gewärtig. Gleich sprang
sie aus dem Bett, nahm nur das erste beste Tuch um, stürzte hin,
den Perlmutterschrein zu betrachten.
Zuerst beschaute sie ihn von aussen immer wieder und wieder und rief ganz
atemlos immerfort: "Wie schön, wie herrlich!" dann drückte
sie auf einen kleinen Goldknopf, und gleich sprang der Deckel des Perlmutterschreins
auf.
Das ganze Zimmer war plötzlich erfüllt von jenem schönen
Duft, der den Menschen verjüngt, der ihn einatmet. In diesem Perlmutterschrein
waren allerlei winzige, kleine Büchsen.
Sie öffnete die erste. In der war ein Zaubermittel, das zur Morgendämmerstunde
kleine, winzige Feelein auf Bienenflügeln von den Blüten gesammelt
hatten. Ein Tropfen davon, und auch das graue Haar war in Goldhaar gewandelt.
Sie öffnete die zweite. In der war eine Zaubersalbe, die hatten Feen
aus tausenderlei Blumensäften bereitet. Ein Tropfen davon war genug,
um auch das runzligste, verwittertste Antlitz mit solcher Schönheit
zu begaben, wie wenn die Morgenröte auf die weisse Rose rötlichen
Schimmer haucht.
Sie öffnete die dritte. In der war Balsam. Ein Tropfen davon wandelte
eine ganze Wanne Wassers in ein Balsambad, in dem der elendeste, verkrüppelte
Bettler, wenn er darin badete, in einen zauberschönen Jüngling
von vierundzwanzig Jahren verwandelt worden wäre.
Sie öffnete die vierte. In der war allerlei Krimskrams, den nur die
Frauen zu gebrauchen wissen, drum erzähle ich nichts davon.
Dann kleideten die Kammermädchen die Prinzessin schön an; die
erste löste ihr das lange, bis zu den Fersen reichende Haar, die
zweite salbte es mit dem Zaubermittel, und siehe! zu Goldhaar war es gewandelt;
die dritte bereitete ein Bad und träufte Balsam hinein, und siehe!
kaum hatte die Prinzessin darin gebadet, so schön sie bisher auch
gewesen, danach wurde sie siebenmal schöner; die vierte wusch sie
mit der Schönheitssalbe, und siehe! so strahlend schön wurde
ihr Antlitz, wie wenn rötlicher Schimmer die weisse Rose überhaucht,
so dass, als sie sie ganz angekleidet hatten und sie zu ihren Eltern lief,
diese sie kaum erkannten und sich fragten: Ist diese Feenkönigin
unsere Tochter? Und all dies that der Wundersame, halb- Schlange-halb-Mensch!
...
Dies war das Geschenk am zweiten Tage gewesen. Nun nahte der dritte Tag,
der letzte Tag,
"Was mir wohl jetzt mein Verlobter als Brautgeschenk schickt?"
fragte sich die schöne Prinzessin.
Sie rechnete schon fast darauf, so hatte sie sich daran gewöhnt.
Vielleicht, wenn es ausgeblieben wäre, hätte sich ihr heller
Tag umwölkt, vielleicht hätte er sich nicht nur umwölkt,
sondern es hätte auch geregnet?! Es hätte Perlentropfen geregnet
aus einem blauen Himmel, aus dem leuchtenden Himmel des Wundersamen, halb-Schlange-halb-Mensch?!
Kam nun der Abend des dritten Tages heran, und als der unsichtbare Schlummer
mit seinen Rosenfingern alle in des armen Mannes Hütte gefesselt
hatte, stieg der Wundersame, halb-Schlange-halb-Mensch, von der Ofenbank;
er schüttelte sich, fiel die Schlangenhaut von ihm ab, schüttelte
er sie siebenmal, Zauberworte dazwischen murmelnd; da erschienen auf der
Stelle die dienenden Geister.
"Was befiehlst du, lieber Herr?"
"Nichts anderes," erwiderte der Wundersame, halb-Schlange-halb-Mensch,
"als dies: holt für meine Braut aus dem leuchtenden Vorratshaus
der Sonne ein prächtiges Brautgewand, aus dem Mondenzelt einen silbernen
Schleier, aus dem Sternenfeld einen spannenbreiten Gürtel! Wenn ihr
all dies geholt habt, steigt zu des höchsten Berges Spitze, auf dem
der Himmel ruht. Auf jenes Berges höchstem Gipfel ist eine Klippe,
die ist wie eine Blumenscherbe gestaltet; auf der Spitze dieser Klippe
blüht die Lotosblume, eine Himmelsblume, die der Feuervogel mit Himmelstau
aus seinem Kropf begiesst. Diese auf einem Stengel gewachsene Himmelsblume
soll mir der Feuervogel bringen und am Hochzeitstage auf das Haupt meiner
Braut legen."
Kaum war des Befehls Zauberwort verklungen, so war es erfüllt; die
dienenden Geister brachten, in drei Nussschalen verschlossen, das bräutliche
Gewand, den Silberschleier und den schimmernden Gürtel, und auch
dem Feuervogel hatten sie hinterlassen, woran er sich zu halten habe.
Früh morgens, wie die Prinzessin erwacht, fällt ihr erster Blick
auf den Tisch, und dort erblickt sie drei goldene Nussschalen. Sie untersucht
sie, dreht sie hin und her und sagt bei sich: "Wie schön, wie
herrlich! Aber was mag wohl darinnen sein?" Sie drückt auf einen
kleinen Goldknopf; da springt der Deckel der goldenen Nussschale auf,
und heraus fällt der schimmernde Goldgürtel, der nicht grösser
war als eine Spanne. Nun nimmt sie auch die zweite goldene Nussschale
zur Hand, drückt auf den Goldknopf, springt der Deckel auf und heraus
fällt auf den Sammetteppich der aus dem Mondenzelt geholte Silberschleier.
Gleich legte sie ihn zur Probe an; natürlich stand er ihr gut. Sie
freute sich so sehr über das Brautgeschenk, dass sie ganz aus dem
Häuschen war; sie küsste es wieder und wieder und hüpfte
wie ein Kind, das seinen Jahrmarktskringel bekommt. Aber gleich nimmt
sie nun auch die dritte zur Hand und fragt sich im Stillen: Was wird nun
wohl in dieser sein?
Sie drückt auf den Goldknopf, da springt der Nussschalendeckel auf,
und heraus fällt ein weisses, seidenes Brautgewand, das ganz von
selbst auf dem Fussboden stehen blieb, und war doch eine Nussschale sein
Schrein gewesen! Und blaue Sterne funkelten auf dem weissen Grunde des
Seidenkleides; nicht umsonst hatten es die dienenden Geister aus dem Vorratshaus
der Sonne geholt; es war so unsagbar prächtig, dass ich es gar nicht
sagen kann. Die Königstochter hüpfte vor Freude und lief gleich
zum Vater König, was für ein Brautgeschenk ihr der Bräutigam
gesandt hatte!
"Hier hast du nun, meine Tochter, die auserlesensten, allerschönsten
Geschenke, jedoch, wie ist der Bräutigam?!"
Da bewölkte sich der Königstochter heller Tag, wortlos schlich
sie aus ihres Herrn Vaters Zimmer und ging geradewegs in ihr Schlafgemach.
Hier griff sie in ihren Busen, zog das goldene Haar und die goldene Schlangenschuppe
hervor, sah bald das eine an, bald das andere. Und wenn sie auf das goldene
Haar blickte, lachte ihr eines Auge; wenn sie die goldene Schlangenschuppe
ansah, füllte sich ihr anderes Auge mit Thränen. Da war's, wie
wenn die Sonne scheint, aber zugleich der Regen fällt.
Am Abend vor der Hochzeit, als der unsichtbare Schlummer mit seinen Rosenfingern
alle in des armen Mannes Hütte gefesselt hatte, stieg der Wundersame,
halb-Schlange-halb-Mensch, von der Ofenbank; er schüttelte sich,
da fiel die Schlangenhaut von ihm ab. Schüttelte er sie siebenmal,
Zauberworte dazwischen sprechend; da erschienen die dienenden Geister.
"Was befiehlst du, lieber Herr?"
"Nichts anderes," sagt der Wundersame, halb- Schlange-halb-Mensch,
"als dies: morgen früh um neun Uhr stehe vor meinem Hause eine
Glaskutsche, an der sei alles, vom Wagenreif bis zum letzten Nagel, aus
getriebenem Silber. Vor die Glaskutsche aber seien sechs mit Tatoschmilch
1) gesäugte, vom Zaum unberührte Eisenschimmelfohlen gespannt,
und das Geschirr auf diesen sechs Pferden sei alles, aber alles bis auf
die letzte Schnalle, von reinem, getriebenem Golde."
Anderen Tags früh um neun Uhr stand dort vor des armen Mannes Haus,
wie er geboten hatte, die Glaskutsche, vorn ein Kutscher, hinten ein Husar,
des Befehls gewärtig; aber sie brauchten nicht lange darauf zu warten;
denn flugs setzte sich der Bräutigam hinein, jagte über die
goldene Brücke und galoppierte in das Schloss seines Schwiegervaters,
in die königliche Residenz.
Hier ging nun mit grossem Gepränge und königlichen Ceremonien
die Trauung vor sich; als das junge Paar vor dem Altar stand, da erklang
plötzlich von fern ein lieblicher Gesang, der lauter und immer lauter
wurde. Siehe! in die Kirche flogen sechs weisse Schwäne, von Menschen
nie gehörte Töne singend; in ihrer Mitte schwebte der Feuervogel,
der trug im Schnabel den Lotosblumenkranz und legte ihn der Braut aufs
Haupt. Als das geschehen war, entfernten sie sich, wie sie gekommen waren.
Wie jetzt die Braut auf den Bräutigam blickt, da sieht sie, wie zu
seinen beiden Seiten zwei sehr schöne Feenjünglinge stehen und
über sein Haupt einen aus Sonnenstrahlen geflochtenen Kranz halten;
aber dies sah allein die Braut, ausser ihr niemand, keine lebendige Seele.
Die Menschen sahen wohl den Glanz; sie schauten sich um, woher der Lichtstrom
käme, aber sie sahen nichts; das sterbliche Auge kann nicht in der
Feen Geheimnis schauen.
Als die Schlafenszeit gekommen war, führten zwölf taubenweiss
gekleidete Brautjungfern die Braut in ihr Schlafgemach, und die Geiger
spielten das Brautschlaflied, bei dessen Klange man weint und lacht. Gegen
Mitternacht kam auch der Bräutigam, und dann verliessen die zwölf
Brautjungfern das Schlafgemach.
Kaum waren sie zu zweien, da verschloss der Bräutigam die Thür,
sah nach, ob das Fenster gut zugemacht war, dann schüttelte er sich,
und von ihm ab fiel die Schlangenhaut und siehe, vor die schamhaft nicht
aufblickende Braut trat ein herrlicher, vierundzwanzigjähriger, zauberschöner
Jüngling mit wallendem Goldhaar, der selbst unter Feen als König
anerkannt worden wäre. Dann umarmten sie sich, küssten sich,
und der Bräutigam flüsterte seiner Braut ins Ohr:
"Ach, mein schönes Herzlieb, ich würde dir etwas sagen,
wenn du nur kein Weib wärst, wenn du nur das Geheimnis bewahren könntest.
Denn ich habe ein grosses Geheimnis; aber das Geheimnis ist nur Geheimnis,
so lange es einer weiss; sobald auch nur zwei es wissen, gleich ist es
keins mehr. Aber da wir jetzt eins sind, so will ich es dir erzählen,
wenn du mir unter heiligem Eide gelobst, dass du es niemandem erzählen
wirst, wenn auch deine leibliche liebe Mutter dich danach fragt."
Die Frau versprach es, besiegelte es mit ihrem Eide und verpflichtete
sich bei ihrer Seelen Seligkeit, dass sie niemandem ein Sterbenswörtchen
sagen werde.
"Sonst," fuhr der Bräutigam fort, "wenn du dies irgend
jemandem verrätst und dein Gelübde brichst, so wird unsere Sonne
gleich umwölkt, und auch jenen strahlenden Stern, der über unsern
Häuptern funkelt, würdest du in Finsternis sehen. Wann er sich
erhellen würde, ob jemals, ob niemals, das weiss nur der liebe Gott."
Die Frau beteuerte aufs Neue, dass sie schweigen werde wie der Fisch im
Wasser.
"So will ich dir verkünden, mein schönes Herzlieb, dass
ich kein Wundersamer, halb-Schlange-halb- Mensch bin, wie sie dies alle
glauben, sondern ich habe Hände und Füsse, just wie andere Menschen.
Der Fluch, dass ich diese Schlangenhaut tragen muss, ruht auf mir. Ich
liebte eine Feenkönigin; aber weil ich sie untreu glaubte, die doch
treu war, verliess ich sie; sie hat mich verflucht: So lange soll ich
diese Schlangenhaut tragen, bis meine Gattin dies ihr Geheimnis ein Jahr,
einen Tag und eine Stunde bewahrt hat. Wenn du das bestehen kannst, werden
wir glückselig sein; wenn du es aber irgend jemandem verrätst,
und sei es deine eigene liebe Mutter, werden wir unselig sein."
Dann umarmten, küssten sie sich, schmiegten ihre Köpfe einer
an des anderen Schulter, und so schliefen sie ein wie ein Vogelpaar im
goldenen Nest.
Nur die Königin konnte nicht schlafen; es quälte sie, wie es
wohl ihrer Tochter ergangen sei. Um das zu erfahren, durchwachte sie schlaflos
die lange, lange Nacht, und es dämmerte noch kaum, da lehnte sie
zum Fenster des Schlosses hinaus, wartete, ob die Sonne mit hellem oder
trübem Antlitz auf diese Ehe schaue; wenn ihr leuchtendes, göttliches
Antlitz trübe sein wird, so wird diese Ehe glücklos sein, und
die Götter heissen sie nicht gut; wenn es aber freundlich, strahlend
ist, dann kündet dies Freude und Glückseligkeit.
Schon stieg die Morgenröte am Himmel auf und nach ihr gleich die
strahlenaugige Sonne. Die Sonne schien hell; ihr Antlitz war wolkenlos.
Vor Freude war die Königin schier von sich und sprach bei sich:
"O Dank dir, strahlende Sonne! Die Ehe meiner einzigen Tochter wird
glücklich sein; denn selbst der Himmel lächelt über ihr."
Sie eilte von hinnen zur Thür des Schlafgemachs, und dort erwartete
sie das junge Paar, in der Hand einen Löffel Honig; von dem sollten
sie kosten, auf dass ihre Ehe so süss sein möge wie jener Löffel
Honig.
Lange, lange musste sie dort warten; dreimal schon war sie zur Thür
gegangen und wieder zurückgekehrt, bis endlich die Thür sich
wirklich öffnete, und der Bräutigam und die Braut heraustraten;
beider Antlitz leuchtete von Freude und Glückseligkeit, war nicht
bewölkt, sondern hell wie jene strahlende Sonne!
Dann kosteten sie von dem Löffel Honig, den, an der Schwelle stehend,
die Schwiegermutter ihnen reichte und zum Munde führte, indem sie
sprach:
"So süss wie dieser Honig, so glücklich, so süss sei
eure Ehe!"
Dann betrachtete die Königin ihre Tochter, dass sie in ihrem Antlitz
etwas läse; aber da war nur Glückseligkeit mit ungeschriebenen
Buchstaben geschrieben.
Die Königin dachte im Stillen, dass mit diesem Mädchen etwas
geschehen sein müsse. "Aber ich frage sie nachher; sie wird
es ihrer Mutter gewiss sagen!"
Nun, dabei blieb es; aber nach zwei Wochen, als die Flitterwochen vorüber
waren, bestürmte die Königin ihre Tochter mit Fragen, und mit
schönen Worten, mit Bitten, mit Drohungen entlockte sie ihr das Geheimnis;
die weltberühmt schöne Prinzessin erzählte alles, was ihr
Gemahl gesagt hatte.
"Also ist dein Gemahl wirklich ein so schöner, junger Mann,
liebe Tochter?" begann die Königin ihre Rede.
"Das kann keine Sprache schildern, Mutter."
"Aber wozu warten wir noch ein Jahr, einen Tag und eine Stunde, mein
Kind? Das ist eine lange Zeit! Merk auf, was ich sage: heute, nach Mitternacht,
lasse ich den Ofen heizen (ohnehin bäckt die Haushälterin Brot),
und wir lassen diese hässliche Schlangenhaut verbrennen. Ich schicke
um zwei Uhr nach Mitternacht unter irgend einem Vorwand die Magd hinein;
du aber öffne die Thür! Sollte dein Gemahl erwachen und fragen,
was das Mädchen will, so werde ich schon die Magd unterweisen, dass
sie sage, dein Gewand, das du morgens zu tragen pflegtest, habe sie vergessen
hinzubringen, und jetzt habe sie es gebracht; aber ich schicke sie nach
der Schlangenhaut. Wenn die Magd die Schlangenhaut aus der Schlafkammer
bringt, dann werfe ich sie gleich in den brennenden, feurigen Ofen."
So geschah's auch. - Bald nach Mitternacht, um zwei Uhr pochte die Magd
an die Schlafkammerthür, damit man sie einlasse. - Wie das die junge
Königin hörte, erhob sie sich von der Seite ihres Gemahls und
öffnete die Thüre, aber auch ihr Gemahl war davon erwacht und
fragte die Dienerin, was sie wolle.
"Ich hatte vergessen, das Morgengewand zu bringen, das brachte ich
herein," antwortete die Magd.
Der Wundersame, halb-Schlange-halb-Mensch, glaubte, was die Magd sagte,
und legte sich auf die andere Seite und schlief ein; jene aber, nachdem
sie die Schlangenhaut gefunden hatte, trug sie hinaus. Die Königin
erwartete sie schon vorn, nahm die Schlangenhaut und liess sie in den
brennenden, feurigen Ofen werfen. Aber siehe! Aus jeder Goldschuppe der
Schlangenhaut wurde ein Feuerei! Wie die durch die Wärme und Glut
aufbrachen, da entstieg einem jeden ein Feuervogel. Das waren die dienenden
Geister, die für ihren Herrn, den Wundersamen, im brennenden, feurigen
Ofen waren, und sie begannen ein schrecklich trauriges Lied zu singen,
und ihre Thränen flossen in Strömen, so dass das Glühfeuer
im Ofen einschlief. Und als es dann ganz zu trockener Glühasche geworden
war, flogen die Feuervögel allesamt, gleich nächtlichen Fledermäusen,
zum Ofen hinaus. Bei diesem Anblick eilte die Königin hinweg und
blieb nicht stehen, bis sie ihr Zimmer erreicht hatte, wo sie sich das
Haar herunterriss und es raufte wie Hanf.
Als dann auch der letzte Feuervogel davongeflogen war, als auch der letzte
Funken im Ofen eingeschlummert war, da erwachte der Wundersame, halb-Schlange-halb-Mensch,
in fürchterlicher Aufregung von einem entsetzlichen Traum. Er sprang
gleich aus dem Bett, suchte die Schlangenhaut, aber fand sie nicht, und
darob entsetzte er sich so sehr, dass er fast vor Schreck gestorben wäre;
er wusste gleich, wie alles stand und was die Glocke geschlagen hatte.
"Ach, mein schönes Herzlieb, jetzt ist alles aus! Du hast das
Geheimnis verraten! Ich verfluche dich, wie das Schicksal es bestimmt
hat: So lange trage unter deinem Herzen meiner Liebe Frucht, so lange
kehre der Apfel deines Busens sich nach innen und nähre mit den bitteren
Thränen des Kummers deine Früchte, bis ich, wenn mir deine Treue
kund geworden, meine Hand auf deine Brust lege und dich dadurch erlöse!
Hier ist meines Bleibens keinen Augenblick mehr. Wohin ich gehe, forsche
nicht! Du kannst nicht dort hingelangen, und zerschliessest du auch zwölf
Paar eiserne Schuhe, du könntest dennoch nicht den Ort erreichen!"
"Nun, mein schönes Herzlieb," spricht die Königin,
"wenn du mich verfluchtest, so werde auch ich dich verfluchen! Siehe!
meine Fingerspitze hat sich gespalten, und mein strömendes, rotes
Blut fiel auf dein weisses Hemd: So lange trage diese drei roten Blutstropfen
auf deinem Hemd, bis ich sie mit eigenen Händen auswasche; wenn du
aber dieses Hemd fortwerfen solltest, so möge das rote Blut auf deine
Stirn tropfen und dort eintrocknen!"
Der Wundersame, halb-Schlange-halb-Mensch, aber entschwand in Nebelgestalt
wie Dunst, wie Rauch und liess dort seine Gemahlin zurück.
Schon sieben Jahre, sieben Monate, sieben Wochen, sieben Tage und sieben
Stunden waren verflossen, seit der jungen Königin Gemahl verschwunden
war; schon seit ebenso langer Zeit fühlte sie sich Mutter, ohne dass
sie gebären konnte. Aber noch immer hatten sie weder eine Kunde noch
ein Wort von dem Wundersamen, halb-Schlange-halb-Mensch, vernommen, und
hatten doch überall nach ihm geforscht, hatten auch Boten in die
vier Himmelsgegenden geschickt; die waren jetzt auch alle heimgekehrt,
und keiner hatte von ihm etwas gehört.
Die Königin weinte in einem fort, härmte sich in einem fort,
so sehr, dass sie täglich zwei, drei Tücher voll weinte. Ihre
Thränen strömten wie der Platzregen, gruben sich fast selbst
ein Flussbett: des Kummers Flussbett. Von Tag zu Tage schwand sie dahin
wie das kranke Reis, so sehr, dass sie selbst ihres Feindes Herz gerührt
haben würde, dass selbst der Mitleid mit ihr empfunden hätte.
Und in diesem Zustande zog sie in die weite Welt, ihren Gemahl zu suchen,
der sie unter einem Fluche zurückgelassen hatte.
Sie wanderte und wanderte durch siebenmal sieben Königreiche, auch
noch über das Operenzmeer, verwaist, mit zerrissenem Gewande, mit
steinzerschnittenen, dornzerrissenen Füssen; mit Strömen ihres
schönen, roten Blutes bezeichnete sie ihren Weg. Einstmals kam sie
von ungefähr in ein Thal, wo auf der seidenen Wiese seidenfellige,
weisse Herden weideten, die unschuldig reine Hirten hüteten.
Auf dieser Seidenwiese fand sie drei Paläste. Sie betrat den ersten,
der war von einem Silberblütengarten umgeben; den Silberblütengarten
aber durchschnitten Milch- und Honigströme. Auf diesen Silberblumen
wuchs das Himmelsmanna, das goldgefiederte Vöglein singend abpflückten
und den Wanderern in der Wüste hinabfallen liessen. Ich sage, sie
langte hier an, ging in den ersten Palast, wo Frau David, die Mondmutter,
wohnte. Sie grüsste sie:
"Gott zum Gruss, meine liebe, alte Mutter!"
"Schönen Dank, meine liebe Tochter! Doch was führt dich
her?"
"Ich suche den Wundersamen, halb-Schlange-halb- Mensch; habt Ihr
nicht etwas von ihm vernommen, liebe, alte Mutter?"
"Ich habe nichts vernommen; aber warte nur, meine liebe Tochter;
heute kehrt mein Sohn David heim; er umwandert das Erdenrund. Wenn er
nichts von ihm weiss, so weiss es niemand auf der Welt! Aber ich merke,
du bist hungrig, bist müde, bist durstig."
Die arme Frau sagte gar nichts, sie nickte nur mit dem Kopfe, dass es
so sei.
"Nun, meine Tochter, hier diese Kürbisflasche habe ich just
eben aus dem Milch- und Honigstrom gefüllt; nimm einen Schluck davon!"
Die arme Frau nahm die Kürbisflasche und that einen guten Zug daraus.
Durch diesen Wundertrank gewann sie sogleich ihre alten Kräfte wieder.
"Nun, meine Tochter, hier auf diesem Rosenteller ist von Vögeln
geschautes, von Vögeln gepflücktes Himmelsmanna. Iss davon,
sättige dich!"
Die arme Frau, die hungrig war, sättigte sich an dem Himmelsmanna;
davon fühlte sie sich noch gekräftigter.
"Nun, meine liebe Tochter, wart' nur ein Weilchen; ich mähe
jetzt auf der Seidenwiese mit der Silbersichel Seidengras; leg dich darauf
nieder, ruhe dich aus."
Die gute, alte Frau aber wackelte fort auf die Seidenwiese, nahm die Silbersichel
zur Hand, hatte geschwind ein ganzes Bund Seidengras gemäht und war
damit zurückgekehrt. Dann bereitete sie gleich in der Kammer, damit
ihr Sohn es nicht sähe, ein gutes Lager von dem Seidengras und breitete
ein silbernes Laken darüber.
Die arme Frau legte sich nieder, und sogleich übermannte sie die
Müdigkeit; sie schlief ein.
Kommt der Sohn der alten Frau, der David, heim und brüllt schon von
weitem:
"Ich wittere einen fremden Gestank! Ich wittere einen fremden Gestank!"
Seine liebe, gute Mutter ging ihm entgegen, fasste seine Hand, streichelte
ihm das Kinn und strich gleich seinen himmelwärtsgekehrten Silberbart
herunter.
"Das ist kein fremder Gestank, lieber Sohn, sondern eine arme Frau
von der andern Welt ist hier, die sucht den Wundersamen, halb-Schlange-halb-
Mensch, der sie unter einem Fluch zurückgelassen hat; weisst du nicht
etwas von ihm?"
"Alltäglich umkreise ich das Erdenrund; aber von solch einem
Menschen habe ich nichts gehört noch gesehen. Aber hier, in der Nachbarschaft
wohnt mein Vater Sonne; die arme Frau soll dahin gehen; wenn der nichts
darüber weiss, so weiss es niemand auf der Welt."
Wie nun die arme Königin Hunger, Durst und Leibesmüdigkeit gestillt
hatte, erwachte sie mit ganz verjüngten Kräften. Wie sie erwacht
war, bewirtete die Mondmutter sie noch einmal und berichtete ihr, was
ihr Sohn gesagt hatte, - und ausserdem, damit sie ein Andenken an sie
habe, schenkte sie ihr zwei schöne Goldfische, die sie mit einem
Purpurnetz aus dem Milch- und Honigbach fischte.
Die arme Frau bedankte sich für die ihr erwiesene Güte und machte
sich auf den Weg zum Sonnenpalast.
Sie ging, wandelte über die Seidenwiese auf einem mit goldenem Sande
bestreuten Fusspfad; auf einmal gelangte sie in den Garten der Sonne,
der die Nacht nicht kennt und mit goldenen Blumen bepflanzt ist, die unsichtbare
Geister mit goldenen Giesskannen aus dem Feuerquell begiessen. Sie trat
in den Sonnenpalast, der gerade in der Mitte des Gartens stand; aber hier
auf einmal verlor sie ihr Augenlicht, als ob es durchschnitten worden
wäre; sie sah nicht, sondern tappte nur umher wie ein Blinder. Plötzlich
berührte eine Zauberhand sie, und eine Stimme sprach: "Sieh!"
und gleich sah sie. Sie schaute umher; da erblickte sie eine alte Frau,
die war die Sonnenmutter.
"Guten Tag, meine liebe, alte Mutter!"
"Schönen Dank, meine liebe Tochter! Wie kommst Du hierher in
diese fremde Gegend, wohin selbst der Vogel nicht kommt?"
"Den Wundersamen, halb-Schlange-halb-Mensch, suche ich, der mich
unter einem Fluch zurückgelassen hat; vernahmt Ihr nichts von ihm,
meine liebe alte Mutter?"
"Ich, meine liebe Tochter, habe nichts vernommen; doch wenn mein
Sohn, der die ganze Welt umwandert, nichts von ihm weiss, so weiss es
niemand auf der Welt. Aber wie ich sehe, bist du durstig, bist hungrig,
bist müde. Erquicke deinen müden Leib und deine müde Seele."
Die arme Königin sagte gar nichts, sie nickte nur mit dem Kopfe,
dass es so sei.
"Nun, meine liebe Tochter, wenn du durstig bist, da nimm, trink aus
dieser Kürbisflasche! Ich habe just eben aus dem frischen Quell geschöpft;
Feuertrank ist darinnen."
Die Königin nahm die Kürbisflasche und that einen guten Zug
vom Feuertrank. Plötzlich, wie wenn der Faden ihres Wehes entzweigeschnitten
wäre, hörten sogleich all ihre Schmerzen auf, und eine dem Schlummer
gleiche Erstarrung ergriff jedes ihrer Knöchelchen.
"Doch die Dornen des Weges haben deinen königlichen Leib zerrissen,
blutig geschlagen, meine liebe Tochter; komm, bade in Tausoole!"
Die arme Königin badete in Tausoole, und auf einmal war jede Wunde,
jeder Riss an ihrem Leibe geheilt; ihr ganzer Leib wurde so weiss wie
das feinste Linnen, so zart wie Tau und so glatt wie Marmor.
"Nun, meine liebe Tochter, wenn du hungrig bist, sieh, hier sind
ein paar goldene Äpfel; iss nur!"
Wie die Königin das eine Goldäpfelpaar gegessen hatte, da war
plötzlich ihr Hunger gestillt, wie wenn er entzweigeschnitten wäre.
"Aber du bist auch müde, meine liebe Tochter; komm in meine
Schlafkammer; dort mache ich dir ein Bett aus goldenem Grummet, das ich
mit einer Strahlen-Sichel schneide und mit einem goldenen Laken bedecke."
Da legte sich die arme Königin auf das goldene Grummet nieder, und
gleich übermannte sie die Müdigkeit; sie schlief ein.
Nun kommt abends die Sonne sehr müde heim und schreit schon von weitem:
"Ich wittere einen fremden Gestank! Ich wittere einen fremden Gestank!"
Geht seine gute Mutter ihm entgegen; mit sanfter Hand streichelt sie seinen
Feuerbart, und gleich, nachdem sein Bart heruntergestrichen, heitert sich
seine Stirn auf.
"Das ist kein fremder Gestank, mein lieber Sohn, sondern hier ist
eine Frau, mit der's so und so steht, aus der andern Welt, die sucht ihren
wundersamen halb-Schlange-halb-Mensch-Gemahl, der sie unter einem Fluch
zurückgelassen hat; sahst du ihn nicht auf deiner Weltenwanderung?"
"Ich sah ihn nicht, meine liebe Mutter. Aber eine Tagereise von hier
wohnt mein Sohn, der Wind; er hat einen schlanken Leib, denn sogar durch
das Nadelöhr kann er kriechen; wenn er nichts von ihm weiss, so weiss
es niemand auf der weiten Welt!"
In der Frühe erhob sich die arme Königin, an Leib und Seele
gestärkt. Die Sonnenmutter nahm sie bei der Hand und leitete sie
aus dem Sonnengarten; aber vorher bewirtete sie sie mit goldenen Apfeln.
Allerlei drollige Dinge sah sie hier: sie sah die riesigen Kreuzspinnen,
wie sie aus verspeistem Goldflachs die Feenleinwand webten und wirkten,
die feiner als Haar, durchsichtiger als Glas ist, sah hier und dort, nah
und fern eingepflanzte Sonnenstrahlenblüten, die jede einem Himmelsvöglein
Obdach bot.
Wie sie aus dem Sonnengarten gelangt waren, da schenkte ihr die Sonnenmutter,
die gute, alte Frau, damit sie ein Andenken behalte, eine goldene Kunkel
und zwei schöne goldene Spindeln.
Nun hatte sie schon zwei schöne goldene Fische, eine goldene Kunkel
und zwei schöne goldene Spindeln.
So geht und wandert die arme Königin; auf einmal, gegen die Dämmerzeit,
kommt sie in einen Garten, der war des Windes. Schon von fern schlug an
ihr Ohr ein Singsang, der wie die Flut fortwährend anschwoll, wie
sie näher und näher kam. Wie sie ganz dort angelangt war, da
sah sie, dass dort auf aufgespannten, goldenen Saiten das Lüftchen
spielte, und der Sturmwind strich die Bassgeige dazu.
Zu dieser seltsamen Musik drehten sich die Wirbelwinde im Tanz; alt und
jung, alle miteinander tanzten den ewigen Tanz. Hier, mitten im Garten
stand des Windes Palast, auf Granitfelsen, die er in seinem Zorn vom Kaukasus
abgebissen hatte. Die arme Königin betrat den Palast, und dort traf
sie eine alte Frau, die Windmutter. Sie grüsste sie:
"Gott zum Gruss, meine liebe, alte Mutter!"
"Schönen Dank, meine liebe Tochter, wie kommst du hierher in
diese fremde Gegend, wohin selbst der Vogel nicht kommt?"
"Ich suche meinen wundersamen halb-Schlange- halb-Mensch-Gemahl,
der mich unter einem Fluch zurückgelassen hat; vernahmt Ihr nicht
etwas von ihm, meine liebe, alte Mutter?"
"Ich habe nichts vernommen; aber bald kommt mein Sohn, der Wind,
heim, der sogar durch das Nadelöhr kriecht; wenn der nichts von ihm
vernommen hat, dann hat es niemand auf der Welt! Aber du bist hungrig,
meine Tochter, wie ich sehe, bist durstig, bist müde."
Die arme Frau sagte gar nichts, sie nickte nur dazu mit dem Kopfe, dass
es so sei.
"Nun, wenn du hungrig bist, hier sind ein paar Goldbirnen, die mein
Sohn im Garten der Morgenröte gepflückt hat; die iss!"
Die arme Königin nahm die beiden Goldbirnen und ass sie. Siehe! auf
einmal, als ob der Faden des Hungers in ihr entzweigeschnitten wäre,
so war er auf der Stelle beschwichtigt.
"Nun, meine liebe Tochter, wenn du durstig bist, hier giebt's etwas;
trink aus dieser Kürbisflasche! Ein Zaubertrank ist darin, den mein
Sohn von Blütenstengeln liest."
Die arme Königin nahm die Kürbisflasche und that einen guten
Zug daraus; auf einmal kehrte ihres Antlitzes frühere Schönheit
zurück, und wieder wurde ihr Antlitz wie die weisse Rose mit Purpurfarbe
angehaucht.
"Aber du bist auch müde, meine Tochter; komm in mein Schlafzimmer,
lege dich nieder in meinem Blumenbett auf das Seidengras, das ich mit
einer Mondsichel jüngst geschnitten habe."
Die arme Königin legte sich nieder auf das Seidengras, und der rosenfingrige
Schlummer schloss ihr gleich die Augen zu.
Nun kommt mit lautem Gepolter der Wind heim; schon von einer Meile her
schreit er:
"Ich wittere einen fremden Gestank! Ich wittere einen fremden Gestank!"
Ein Haar aus seinem Bart war in das Meer gefallen, und das wirbelte dort
alles aus seinen Grundfesten auf.
Da eilte ihm seine liebe Mutter entgegen, und wie sie seinen langen Bart
gestreichelt hatte, da besänftigte sich der Wind gleich.
"Das ist kein fremder Gestank, mein lieber Sohn; sondern hier ist
eine unglückselige Frau aus der anderen Welt, mit der es so und so
steht, die ihren wundersamen halb-Schlange-halb-Mensch-Gemahl sucht, der
sie unter einem Fluch zurückgelassen hat. Hast du nicht etwas von
ihm vernommen?"
"Haha, meine Mutter! Natürlich vernahm ich davon. Doch in solchem
Zustand kann sie nimmermehr dorthin gelangen; sie müsste durch ein
Loch, das enger als das Nadelöhr ist, kriechen; denn die Burg ist
rings von einer brennenden Hecke umgeben. Doch ich werde sie in meine
Arme nehmen, trage sie dann auch hinüber über die brennende
Hecke und setze sie im Garten nieder. Das andere ist dann ihre Sache."
Frühmorgens bewirtete die Windmutter die arme Königin, und auf
dass sie ein Andenken behalte, gab sie ihr goldenen Flachs, der war aus
dem Bart eines jungen Wirbelwindes gerupft; er selbst aber, der alte Herr
Wind, nahm sie in seinen Arm, und damit sie nicht friere, deckte er sie
mit seinem Mantel zu; dann begann er ein Lied zu singen und wiegte sie
in seinem Arm wie die Amme das Kind in der Wiege, so dass die Königin
einschlief, und als sie erwachte, da fand sie sich am Ufer eines Sees.
Hier am Ufer des Sees setzte sie sich nieder und liess die beiden Goldfischchen
in dem Teich trinken; dann nahm sie den goldenen Flachs vor, den sie von
der Windmutter als Andenken erhalten hatte, zupfte ihn, schichtete ihn,
wickelte ihn zur Docke zusammen; dann band sie ihn auf die goldene Kunkel
und begann auf der goldenen Spindel zu spinnen.
Sie spann nur und spann; da kamen einmal zwei Frauen an den See zum Waschen.
Sie setzten das Waschgestell am Seeufer nieder und nahmen ihre Wunderholzschlägel
vor und begannen die Kleider zu schlagen, und ab und zu spülten sie
sie im Wasser des Sees.
Die beiden Frauen wuschen und wuschen, die Königin spann und spann;
auf einmal begann die eine der beiden Frauen, während sie ein weisses
Hemd in der Hand hielt:
"Ach Tauwasser," so hiess die Frau, zu der sie sprach, "schau
her! Siehst du diesen Blutfleck? Wenn wir den auswaschen könnten,
würden wir die Reichsten auf der Welt werden; denn für das Auswaschen
dieses Fleckes versprach unser Herr unzählig viel Geld. Sie versuchten
es auch schon auf alle Weise, sie kochten, laugten, seiften es, vielleicht
sogar auch mit Spiritus; aber niemand konnte ihn auswaschen."
Die Königin hatte so mit halbem Ohr ihrer Rede gelauscht, und so
mit halbem Auge verstohlen schaute sie hin auf das Hemd. Siehe, da erkannte
sie das Hemd ihres eigenen Gemahls! Dies war das verwunschene Hemd, jenes,
auf das sie ihr rotes Blut hatte fallen lassen, und das war auch jetzt
noch so rot.
Sie sprach zu den Frauen:
"Hört an! Gebt mir nur jenes Hemd her; ich werde es schon auswaschen."
Die beiden Frauen gaben es ihr. Die Königin liess zwei grosse Thränentropfen
darauf fallen, rieb es ein wenig, und siehe, von dem Blutfleck war keine
Spur mehr sichtbar.
Voller Freude eilten die beiden Wäscherinnen heim, und geradewegs
zu ihrem Herrn: da und da am Ufer des Sees sei eine Frau, die spinne goldenen
Flachs von goldener Kunkel auf goldener Spindel, die habe kaum das Hemd
in die Hand genommen, kaum ein paar Thränentropfen darauf fallen
lassen, da sei gleich der Blutfleck ausgegangen und zwar so, dass man
keine Spur mehr sehen könne: "Wenn deine Majestät es nicht
glaubt, hier ist das Hemd, seht selbst!"
Wahrlich, der Feenkönig sah das Hemd nicht an, sondern stürzte
Hals über Kopf auf den Hof und gab dort den dienenden Geistern Befehl,
da und da am Ufer des Sees sei eine Frau, die sollten sie geschwind aufsuchen,
in die gläserne, goldene Kutsche setzen, die Tatoschpferde, Feenrosse
ziehen; dann sollten sie sie in das Balsambad führen und baden; wenn
das geschehen sei, sollten sie sie in purpurnen Sammet kleiden und in
das schönste Gemach des Schlosses führen; denn sie sollten sie
so ehren und betrachten wie ihre Königin.
Kaum war der Befehl verklungen, so war er auch erfüllt. Die Königin
wurde in einer gläsernen, goldenen Kutsche in das Balsambad gebracht
und dort gebadet; von dort führten sie sie dann in das Feen-Ankleidegemach,
wo die Wand so strahlend wie der Spiegel war oder vielmehr noch strahlender;
man brauchte nur auf die Wand zu blicken, und gleich sah man sich vom
Scheitel bis zur Sohle. Hier kleideten sie zwölf Kammermädchen
in purpurnen Sammet, entwirrten mit dem Muschelkamm ihr langes, goldenes
Haar, das schon seit sieben Jahren nicht gekämmt worden war, mit
feenhafter Geschicklichkeit, so dass auch nicht ein einziges Goldhaar
von ihrem Haupte hinabfiel, auch nicht ein Haar am Muschelkamm hängen
blieb. Dann flochten sie ein regenbogenfarbenes Band hinein, und auf jedes
Haar zogen sie eine echte Perle.
Als sie so in voller Pracht gekleidet war, führten sie sie in das
schönste Gemach und betteten sie dort auf einem Blumenlager. Ein
Goldhaar erleuchtete das Zimmer mit Tageshelle.
Nun öffnete sich die Thür, und herein trat nicht mehr der Wundersame,
halb-Schlange-halb-Mensch, sondern der schönste, vierundzwanzigjährige,
mit unvergänglicher Schönheit und ewiger Jugend begabte Feenkönig,
ihr liebster, lange nicht gesehener Gemahl.
Der Feenkönig trat ans Bett der kranken Königin, seine beiden
Finger legte er auf ihre Brust, auf die Gegend des Herzens, und die Königin
brachte gleich, ohne Schmerz, zwei schöne, goldlockige Kinder zur
Welt. Das eine war ein Knabe, das andere ein Mädchen; die Sonne hatte
das eine, einen Stern das andere auf der Stirn; beide aber hatten bis
zur Ferse wallendes Goldhaar.
Wie die Königin die beiden schönen Kinder zur Welt gebracht
hatte, erhob sie sich gleich von ihrem Bett; denn sie fühlte keinen
Schmerz. Dann nahm der Feenkönig von der einen Seite den siebenjährigen
kleinen Sohn, von der anderen Seite die siebenjährige kleine Tochter,
führte sie in das Feenschloss, wo er die Königin auf den Thron
setzte, den die versammelten Feen schon umstanden und sie als ihre Königin
willkommen hiessen. Als die Königin im Balsambad gebadet hatte, war
auch sie gleich all den anderen Feen mit ewiger Jugend begabt worden,
und dazu war sie die allerschönste unter all den versammelten Feenfrauen
und Fräulein; sie war Königin in der Schönheit.
Dann feierten sie ein grosses Fest; sie hielten Hochzeit und Taufe auf
einmal, und drei Frauen, die Mond-, Sonnen-und Windmutter, luden sie als
Patinnen, als Paten aber deren Söhne, die auch mit grossem Gepränge
erschienen und es so lustig trieben, dass man sieben Welten weit davon
erzählte.
Zu Ende war's, ein Märchen war's.
1) Tatosch (tátos oder táltos) ist das Zauberpferd der
Ungarn.
Quelle: Elisabet Sklarek, Ungarische Volksmärchen, Leipzig 1901, Nr. 4