Das Waldfräulein.
Es war einmal, ich weiss nicht wo auf der Welt, eine alte Königin.
Diese alte Königin hatte einen Enkel; aber der war solch ein Nichtsnutz,
dass er seine Grossmutter immer bewarf, wenn er zum Brunnen Wasser holen
ging. Einstmals, als es ihr mehr als genug war, sprach sie zu ihrem Enkel:
"Du, hör mal, wirf nicht! Denn du wirst sehen, du bekommst eine
Frau aus dem Walde."
Darüber lachte der Königssohn sehr; danach bewarf er sie noch
mehr als vordem.
Als er nun schon ein ganz grosser Bursche geworden war, ging er unter
anderem einstmals hinaus in den Wald spazieren. Der war dort gleich unterhalb
der Stadt. Wie er dort auf und ab spaziert, erblickt er eine sehr schöne
Staude; sogleich zieht er sein Messer aus der Tasche, schneidet sie ab.
Siehe, da springt ein wunderschönes, goldhaariges Feenfräulein
heraus und spricht:
"Ich bitte dich schön, schöner Königssohn, gieb mir
einen Trunk Wasser!"
Wie sehr er es auch gewünscht hätte, er konnte ihr auch nicht
einen Tropfen geben; denn er hatte natürlich nichts bei sich, und
dort in der Nähe war auch keins.
"Ich bitte dich schön, schöner Königssohn, gieb geschwind;
denn sonst sterbe ich auf der Stelle!"
Aber das war unmöglich! Das wunderschöne Feenmädchen verschwand
auf einmal so, als wäre es niemals dort gewesen. Der Königssohn
war sehr traurig, denn, warum soll ich es leugnen, sein Auge war an dem
schönen Frauenbild hängen geblieben, nun und ausserdem war er
auch, gar nicht so sehr schlimm, wie man sagte.
Ein andermal, als er wieder in den Wald hinausgehen wollte, that er keinen
Schritt, ehe er nicht einen Krug mit gutem Brunnenwasser gefüllt
hatte. Diesmal suchte er aber wahrlich nicht lange nach der Gerte; so
bald er eine etwas seltsame erblickte, schnitt er sie gleich ab. Und wieder
sprang da ein schönes, goldhaariges Feenfräulein heraus; die
war noch siebenmal schöner als jene andere.
Darauf hatte der Königssohn nur gewartet.
Und das goldhaarige Feenfräulein spricht:
"Ich bitte dich schön, schöner Königssohn, gieb mir
einen Trunk Wasser!"
Darauf sagt der Königssohn:
"Wie sollte ich es nicht geben, meine liebe Taube! Ich gebe dir so
gutes, dass du in deinem Leben nie besseres getrunken hast."
Wie er nach dem Eimer greifen wollte, schaute er nicht dorthin, sondern
auf das schöne Feenfräulein, und stiess den Eimer um; es blieb
auch nicht ein Tröpfchen Wasser darin. Aber das hatte er wahrlich
nicht gewollt, um alles in der Welt hätte er es nicht gethan!
Vergebens flehte ihn nun das schöne Feenfräulein an; er konnte
ihr wirklich nichts geben. Auch diese verschwand wie die andere.
Der Königssohn war grenzenlos zornig auf sich, gab sich alle möglichen
Namen; aber in der Sache konnte er nun doch nichts ändern. Er wurde
so schlechter Laune wie der, der kein Hanffeld bekommen hat. Sie fragten
ihn zu Hause aus; aber er sprach kein Wort, ganz wie du jetzt kein Wort
sprichst, mein lieber Sohn. Er zürnte mit sich im Stillen und ärgerte
sich.
Am nächsten Tage ging er wieder hinaus in den Wald. Wer wagt, gewinnt.
Jetzt aber trug er das Wasser in einem Tönnchen; da war er sicher,
dass das Wasser daraus nicht ausfliessen würde. Und so konnte er
auch dem Feenfräulein, das jetzt aus der Gerte sprang, die er abgeschnitten
hatte, Wasser geben. Na Brüderchen, die war noch siebenmal schöner
als die beiden andern. Und nachdem sie tüchtig aus dem Fässchen
getrunken hatte, wurde sie noch schöner; so schön wurde sie,
dass man sie kaum anschauen konnte. Und da der Königssohn auch ein
Bursche war, der sich wohl sehen lassen konnte, so fanden sie Wohlgefallen
an einander. Man brauchte ihnen nicht lange zuzureden. Sie schauten nur,
schauten nur einander eine gute Weile an, plötzlich fielen sie sich
in die Arme, umarmten, küssten sich und sprachen:
"Du bist mein, ich bin dein; das Grabscheit trenne uns!"
Ja wohl! Gleich setzten sie sich in die Kutsche. Die wundervollen, sechs
braunen Fohlen flogen mit ihnen gleichsam davon. Sie gingen heim, hielten
eine grosse Hochzeit; dann lebten sie ein Jahr lang glücklich.
Aber dann musste der König in den Krieg ziehen; seine Frau war zu
jener Zeit schon guter Hoffnung. Nicht lange darauf kam die Königin
auch ins Kindbett. Ach ja, ich habe zu erzählen vergessen, dass die
alte Königin befohlen hatte, dass ins Zimmer der jungen Königin
keine Blauspechte hineingelassen werden sollten. Also die Königin
bekam zwei so wunderschöne Knaben, dass es eine reine Wonne war,
sie anzuschauen. Aber diese gottlose, alte Königin! Vertauschte sie
nicht die beiden kleinen Knäblein? Wahrhaftig! Zwei junge Jagdhunde
legte sie an ihrer statt hin, die beiden kleinen Knäblein wollte
sie umbringen. Aber da waren doch zwei Blauspechte; die haben dann die
beiden kleinen, unschuldigen Würmchen aufgenommen, und "Nebel
vor mir, Nebel hinter mir!" als ob sie niemals dort gewesen wären.
Wie die in das Zimmer gekommen sind, das weiss ich nicht; aber dass sie
dort drin gewesen sind, das ist sicher.
Da war nun grosses Leid. Die junge Königin weinte so viel, dass sie
fast das Haus umwarf. Sie wusste sehr wohl, dass sie sie betrogen hatten,
aber sie konnte gar nichts dagegen thun. Dann sagte ihr die alte Königin
noch dazu, wie sie so schlecht, so schlecht sei; denn wenn sie gut wäre,
so hätte sie jetzt nicht Hunde als Kinder bekommen:
"Gott sei mir gnädig, aber so etwas habe ich noch nie gehört.
Ja, die Jugend von heute ist nun mal so! Ach, das war alles anders zu
meiner Mädchenzeit! Wahrlich, wenn so etwas damals jemandem geschehen
wäre, unter die Erde wäre er gekrochen vor Scham. Aber die hier,
seht nur, die spielt noch die gekränkte Unschuld!"
So redete die alte Königin, obschon an ihr jedes Knöchelchen
böse war.
Aber plötzlich kam nun der König heim. Vergebens sprach da die
arme, junge Königin; es nützte nichts. Der König verstiess
die Arme wirklich. Sie ging geradewegs in den Wald. Dort erzählten
ihr die Blauspechte, wo ihre beiden Knäblein seien. Dorthin ging
sie, und sie lebten lange Zeit zusammen.
So waren vier, fünf Jahre vergangen; da hörte sie einmal, dass
ihr Mann sich verheiratet habe. Die Tochter jenes Königs, mit dem
er vordem sich bekriegt, hatte er genommen. Sie erfuhr auch, wann die
Hochzeit sein werde. Da schickte sie ihre beiden Söhne hin, die waren
so schöne, kleine Knaben geworden, dass man in siebenmal sieben Königreichen
nicht ihresgleichen finden konnte. Wie sie ins Zimmer traten, erkannte
die alte Königin sie auf der Stelle und sprach:
"Packt euch von hinnen! Wir brauchen solche Brut hier nicht!"
"Aber warum wollt Ihr die armen Kleinen wegjagen, liebe Mutter?"
sagt der König, "die thun ja nicht einmal den Fliegen was zu
leide. Geht nicht fort; kommt her zu mir, meine lieben Jungen, esst, trinkt,
was euer Auge, euer Mund begehrt. Ich weiss ohnehin, zu Hause habt ihr
zum beissen nicht viel Auswahl. Esst, liebe Jungen!"
Nun, sie liessen sich auch nicht lange nötigen, sondern griffen tüchtig
zu. Der König, der seine erste Gemahlin gar nicht vergessen konnte,
nahm bald den einen, bald den anderen kleinen Knaben auf den Schoss. Die
Braut dort neben ihm wurde traurig. Er sah sie wenig an. Und dann herzte
er die Kinder. Er forschte sie auch aus, wo ihr lieber Vater, ihre liebe
Mutter wohne.
Da erzählten sie ihm alles, was sie nur wussten, ihren Vater kennten
sie nicht, aber er lebe und sei ein grossmächtiger König; aber
ein schlechter Mensch müsse er sein, denn er habe ihre Mutter verstossen;
die sei aber eine so gute Frau, dass man ihresgleichen nicht finden könne.
"Aber woher wisst ihr das? Ihr seid ja noch so klein," sagte
der König zu ihnen.
"Aber deswegen wissen wir es doch", erwiderten sie ihm.
"Doch wo wohnt denn eure liebe Mutter?"
"In dem und dem Walde." Sie nannten seinen Namen.
Der König wurde sehr neugierig; er verliess die Hochzeit, Braut,
Gäste, alles mit einander. Auf der Stelle ging er hinaus in den Wald,
nahm auch die beiden kleinen Knaben mit. Und die führten ihn dann
geradewegs zu ihrer lieben Mutter. Es verging ihnen Hören und Sehen,
als sie sich erkannten.
"Verzeihst du mir, meine liebe Frau?"
"Wie sollte ich dir nicht verzeihen! Ich weiss ja sehr wohl, dass
du nicht schuld hattest."
Sie umarmten, küssten sich. Aber da sagten auch die beiden kleinen
Knaben:
"Nicht wahr, wir sprachen die Wahrheit, nicht wahr, wir haben eine
gute Mutter?"
Sie küssten alle beide so ab, wie sie noch nie geküsst worden
waren. - Warum soll ich noch viele Worte machen? Das war das Ende, dass
sie zusammen nach Hause gingen, und damit das Hochzeitsfest nicht zu Wasser
werde, so hielten sie auch gleich die Hochzeit. Und sie waren sicherlich
sehr fröhlich und guter Dinge.
Die neue Braut sandte der König heim, seine alte Mutter aber schaffte
er auch aus der Welt, und dann lebten sie so glücklich - oder leben
vielleicht jetzt noch, wenn sie nicht gestorben sind - wie es vielleicht
noch niemand gesehen hat.
So war's.
Quelle: Elisabet Sklarek, Ungarische Volksmärchen, Leipzig 1901, Nr. 6