Zwei Grenzer an der Geisterburg Kirnstein

Zu eben dieser Zeit, da der Ritter mit dem Goldfaß aufgetaucht und wieder verschwunden war, begab es sich, daß zwei Grenzjäger ihren nächtlichen Streifengang machten. Dabei kamen sie in die Nähe der Ruine Kirnstein. Doch auf einmal war die ganze, ihnen wohlbekannte Gegend verändert. Die Straße führte jetzt aufwärts zum Kirnstein. Von ihren früheren Dienstgängen her wußten sie aber, daß sie sich sonst unten um den Felsen herum wand. Vergebens sahen sich die beiden Grenzer nach der richtigen Straße um. Sie war nicht mehr da. So entschlossen sie sich, den einzigen vorhandenen Weg bergaufwärts weiterzugehen. Bald waren sie in der Nähe des Platzes angekommen, wo die zerfallenen Mauern der Burg Kirnstein stehen sollten. Doch dort erhoben sich links und rechts hohe Wälle und gewaltige Mauern. Das Burgtor stand weit offen, und so sahen die beiden, daß dahinter eine Schar dunkler Gestalten sich drängte. Blitzende Schwerter und Spieße hielten sie in ihren eisenbewehrten Fäusten. Ein paar von ihnen versperrten mit vorgehaltenen Lanzen den Ankömmlingen den Weg. Furcht und Grauen packte die beiden Grenzaufseher. Einer von beiden schoß sein Gewehrab auf die finsteren Gestalten. Da erhob sich ein mächtiges Sausen und der ganze Spuk verschwand. Die zwei Männer sahen sich urplötzlich wieder auf der Landstraße unterhalb des Kirnsteins. Nur der Pulverdampf von dem abgeschossenen Gewehr bewies ihnen, daß sie einen Geisterspuk erlebt hatten.

Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 76