Der Lindwurm im sagenhaften See oberhalb von Nußdorf

In der weit sich hinziehenden Mulde westlich von Grainbach auf dem Samerberg gegen Nußdorf am Inn zu soll in alten Zeiten ein großer See gewesen sein. Man findet dort, wo seinerzeit seine Ufer gewesen sein sollen, an einigen Stellen Felsbrocken, die in ihrer Mitte durchgehende Löcher aufweisen. Diese durchlöcherten Steinkolosse sollen zum Anhängen von Schiffen gedient haben, mit denen die Fischer den See befahren haben.

Nun hauste in diesem See ein gefährlicher Lindwurm. Mit seinem langen Schwanz hat er gar manches Fischerboot zerschmettert und die unglücklichen Fischer hat er zu sich in die Tiefe des Wassers hinabgezogen, so daß sie nie mehr aufgetaucht sind. Des öfteren unternahmen es beherzte Männer zu versuchen, den häßlichen Drachen zu töten. Gut bewaffnet ritten dann einige Unerschrockene von Nußdorfaus hinauf, kamen aber nie weiter als bis zum sogenannten Reiterstiegl. Das ist eine Stelle an der Grainbacher Achen, etwa eine halbe Stunde vom Dorf Grainbach entfernt, wo dieses kleine Bächlein auf einmal sehr tief wird. Dort versperrte das Ungeheuer regelmäßig seinen Gegnern den Weg. Aus seinem Rachen blies er ihnen Feuer und Qualm entgegen und mit seinen riesigen Fledermausflügeln entfachte es einen Sturm, daß kein Weiterkommen mehr war. Die ausgezogen waren, das Ungeheuer zu töten, mußten hier umkehren oder wurden an Ort und Stelle vom grausigen Untier zerfetzt, zerschmettert oder aufgefressen.

Weil trotzdem immer wieder das Wagnis unternommen wurde, den Drachen zu erledigen, wenn auch immer vergebens, so fühlte sich dieser doch in seiner Ruhe aufs ärgste gestört. Im Zorn über die Menschen begann er deshalb im See zu wühlen und das Ufer gegen Mühltal zu aufzureißen, bis eines Tages das Ufer oberhalb von Nußdorf durchbrach. Gurgelnd und schäumend stürzten sich die Wassermassen auf das Dorf hinab. Das halbe Nußdorf wurde weggerissen und mit Mann und Maus fortgeschwemmt. Ja, auf der gegenüberliegenden Anhöhe, wo damals noch die Burg Clammenstein stand, wurden die Felsen, die die Burgmauern trugen, derart unterspült, daß die Burg zusammenstürzte. Von der einst so stolzen, wehrhaften Burg Clammenstein blieb kein Stein auf dem anderen stehen.

Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 136