Das Turmmanndl

Solange die Audorfer immer noch abergläubisch waren und die alten Heidengötter doch noch nicht ganz vergessen hatten, hauste im Turm der Kirche von Oberaudorf ein Zwerg. Es war ein buckliges Männchen mit langem, grauem Bart, das sein Quartier im Kirchturm bezogen hatte. Im Kirchenschiff aber wurde es nie gesehen. Jedoch vom Schall-Loch, wo die Glocken hängen, sah es mancher Kirchgänger herabgucken auf die Leute, die zur Messe gingen. Hat ein Kirchgänger seinen Weggenossen auf die Erscheinung aufmerksam gemacht, so war sie bereits verschwunden, bis dieser seinen Blick suchend nach oben richtete. Das "Turmmanndl" hat die heidnischen Geister verjagt, die immer noch zur einst heidnischen Kultstätte zurückkehrten, die einst der Kirchplatz war.

Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 11