Neujahr

Mit dem großen Silvester-Rummel, mit dem Kling-Klang gefüllter Gläser begrüßt und begießt der Städter den Eintritt des neuen Jahres, von dem er sich immer wieder lauter Gutes verspricht, wenngleich ihm schon der Neujahrsmorgen einen stieren Kater beschert. Laut-, fast spurlos hingegen wechselt das alte Jahr mit dem neuen am Lande. Der Bauer hängt statt des alten Kalenders einen neuen in den Herrgottswinkel. Sein Jahresregent sind nicht nebelhafte Hoffnungen des Stadtlingers, sondern das Wetter, der Himmel, der liebe Gott. Darum riskiert er in dieser Nacht höchstens ein Äugl zum Himmel:

Neujahrsnacht still und klar
Deutet auf ein gutes Jahr,

und macht einen Gedanken zum lieben Gott, der beim Burggräfler alljährlich Jahresregent bleibt; denn das Bauern- und das Kirchenjahr sind so eng und streng ineinander verwoben, daß der Bauer auch seine irdischen Zeitbestimmungen mit dem Überirdischen verknüpft. Er hat z. B. keinen 11. November im Kalender, sondern den „Martestag" oder „um Martini". Auch die kirchlichen Riten und gottesdienstlichen Gepflogenheiten durchsetzen das ganze Bauernleben.

Das Jahr des Burggräflers setzt eigentlich erst mit dem Beginn der Arbeiten im Weinberg ein: um Lichtmeß. Stadt und Land ist aber einig im Glauben, daß es von besserer Vorbedeutung sei, am Neujahrsmorgen einem frischen Mädel zu begegnen als einem alten Weibe.

In den folgenden Tagen sieht man den Mesner der Pfarre von Hof zu Hof gehen mit spitzgedrehten Tüten, prall mit Weihrauch gefüllt. Der Maiser Mesner brachte uns immer hübsch glattgedrehte blaue. Am Vorabend von Dreikönig wird „g'raacht".

Der Hausvater geht mit einem Pfännchen, in dem Kohlen glühen, voran und legt ab und zu geweihten Weihrauch darauf, daß sich allenthalben in Haus, Hof und 5tall der würzige, segensreiche Duft verbreite, ihm folgt die Bäuerin mit einem Weihbrunnkrügel oder der Großknecht mit Kining(Königs-)Wasser, das am Morgen in einem geräumigen Bottich vor der Kirche geweiht worden war; die Großdirn oder sonst ein anderes Weibermensch hat davon eine große Flasche gefaßt und heimgebracht. Alle Ortlichkeiten ohne Ausnahme werden beräuchert und mit einem ins Weihwasser getauchten Buxwedel besprengt. Ein Schriftgelehrter malt auf die Türen mit Kreide möglichst schön und für ein Jahr haltbar die Namen der drei Könige C + M + B mit der Jahreszahl. Rückgekehrt in die Stube, neigen sich alle Hausleute und Ehehalten mit erhobenen Händen über die Weihrauchpfanne, die der Hausvater jedem hinhält, zur Abwendung alles leiblichen Übels, insbesondere von Kopf- und Halsleiden. Auch die Melk- und Milchgeschirre werden der Reihe nach (gewöhnlich von der Großdirn, die diese Gefäße betreut) über die Rauchpfanne gehalten, um vor allem beim Butterkübele Hexenspuk fernzuhalten; denn einstmals waren die Butterhexen' überaus gefürchtet. Die Hexen sind verbrannt, der Brauch ist wie eben soviele andere geblieben. Dann betet man einige Vaterunser und hat seine Gedanken dabei schon ein bißl an das Abendessen: Weizenknödel (das einzige Mal im Jahre zum Nachtmahl aufgetischt!), dann Schweinernes mit Kraut und besten Wein dazu.

Das Räuchern hat zweifachen Hintergrund: einen christlich-gläubigen im Gedenken an die Wallfahrt der drei Könige nach Bethlehem mit Weihrauch, Myrrhen und Kostbarkeiten und einen heidnisch-sagenhaften: die Perchta oder Perchtl (45). Sie ist ein fürchterliches Weib, daß dem stärksten Burschen die Gansrupfen aufsteigen, wenn er verwegen genug sein sollte, ihr zu begegnen. Das Gespenst zieht „in den Zwölften" (die zwölf heiligen Tage zwischen Weihnachten und Dreikönig), namentlich aber an letzterem Tage mit Laufen und Brausen durch die Lüfte. In langer Reihe folgt ihr eine Kette kleiner Kinder, immer eines hinter'm andern, die alle ohne Taufe ins Jenseits übertreten mußten und deshalb im Himmel nicht Platz finden. Solch unglückliche Wesen konnten nach dem Glauben des Volkes vor dem Trenser Gnadenbilde und dem Brixner Vesperbilde auf einige Augenblicke zum Leben erweckt, rasch getauft und so der ewigen Seligkeit teilhaft werden.

Wenn die Perchtl umgeht, ist es gescheiter, man bleibt daheim; es könnte einem sonst schlimm ergehen. Das Räuchern ist auch wirksam gegen Ränke des Teufels und der Hexen.

Hans Matscher, Neujahr

Am Dreikönigenabend segnet der Bauer oder der erste Knecht (was für den ein großer Vertrauensbeweis und eine hohe Ehre ist) auch die Felder. Er nimmt einen der Größe der Felder entsprechenden Milchkessel mit Kinigwasser, rüstet sich mit einemBuchsbaum- oder Strohwedel und durchwandelt die Güter, den Rosenkranz betend. Dabei sprengt er das geweihte Wasser aus, daher der Brauch „das Aussprengen" heißt. An Bäumen, Zäunen und Patäunen findet man nachher häufig „Spritzer" (Teile des Buchswedels) als Zeichen, daß an dieser Stelle „gekinigt" wurde. Vor solchen Plätzen haben die Hexen heiligen Respekt und dieser Strich ist sicher vor Hagel, den ja zumeist übelwollende Hexen verursachen.

Die Feiertage sind nun vorüber, denn:

„Sankt Erhard mit der Hack
Steckt die Weihnachtsfeirtig in Sack."

Nur bei den Algundern nimmt es noch kein Ende, weil sie just den Erhard (8. Jänner), sonst Schutzherr der .Zimmerleute, als Kirchenpatron erkoren haben. Am 17. Jänner kommt der „Fackentunig" (Antonius Abt) zu seinen gebührenden Ehren, so genannt, weil er als Schützer der Schweine gilt. An diesem Tage wird in der Maiser Pfarre ein Kirchen gehalten, zu dem die Bäuerinnen der ganzen Umgebung ihre Fackendirnen hinbeordern, damit der Segen des Fackentunig nicht vom Stalle weiche, im weiteren verläuft der Jänner ruhig.

Nur Sebastiani (am 20.) ist ein etwas wichtigerer Tag: er bringt die ärgste Kälte, bricht sie aber auch. Dieser von Pfeilen durchbohrte Heilige ist Patron der Schützen und vieler kirchlichen Vereinigungen, der sog. Sebastiani-Bruderschaften, wie z. B. in Cermes [Tscherms]. Er und sein Mitheiliger Fabian „sind gut" gegen Pest und ansteckende Krankheiten. Nach der Volksmeinung nämlich kann man nicht jeden Heiligen mit gleichem Erfolge anrufen gegen die verschiedenen Gebreste des Leibes und in Nöten der Seele. Zum Beispiel wendet man sich bei Kopfschmerz und Augenleiden an die hl. Ottilia, bei Zahnweh aber an Apollonia; Halsleiden bessert Blasius, Drüsenschwellungen jedoch Cosmas und Damian; Mauritius heilt die Gicht im allgemeinen, während Laurentius besonders bei Schulterschmerzen angerufen wird; Brustleidende empfehlen sich der hl. Agatha, Krebsbehaftete flehen zu Adelgunde; vor Blattern schützt Sankt Martin, Fußmaroden hilft Johannes Evangelist und St. Rochus weiter und Wolfgang nimmt sich der Gelähmten an. Diese Schutz- und Patronatseigenheiten leiten sich oft von Wundern ab, welche die Heiligen wirkten, meist aber von ihren irdischen Lebensschicksalen, insbesondere vom Martyrium, manchmal läßt sich auch ein heidnisch-mythischer Zusammenhang finden, wie z. B. die Anrufung Margaretas (siehe dort) bei schweren Geburten.

Im Beginne einer Erkrankung kramt die Bäuerin zuerst gerne in ihrer Hausapotheke herum, die sie teils mit Hilfe ihres eigenen Hausgartens instandhält, teils von kräutersammelnden, erfahrenen Weiblein sich ergänzen läßt.

Die Kranebittstaude war bereits von unseren heidnischen Ahnen geehrt, heidnisch, will sagen: ungetauft ist der Kranebitter auch heute noch wirksam bei Magenverstimmung und gegen allerhand Schwächen; die Kranebittstauden bannen bösen Zauber. Hagebutten vertreiben die Wassersucht. Einreibungen von Hirsch- und Hundeschmalz bekämpfen die Lungensucht (beide Tiere als Schnelläufer müssen ja gute Lungen haben). Gegen Augenweh ist es (auch schon vorbeugend) vorteilhaft, ein goldenes Ringlein oder Sternchen im Ohrläppchen zu tragen.

Als vorzügliches Mittel gegen Warzen wird gepriesen: nimm einen Faden, mach' soviel Knöpfe drein als du Warzen hast, und vergrabe ihn in einem Misthaufen oder stecke ihn unter die Dachrinne, aber bei abnehmendem Mond!

Ein Schlaganfall ist leicht erklärt: im Hirn hängen drei Blutstropfen; fällt der linke herab, wird der Mensch links gelähmt, der rechte, dann rechterseits, fällt der mittlere, dann ist's aus und der Mensch auf der Stelle tot.

Ein Krummschnabel im Kinderzimmer hält alle Krankheiten ab; drum geht er selber leicht zugrunde, weil er eben alles Giftige einsaugt.

Genuß roher Kastanien macht Läuse im Magen; hingegen sind sie, bei sich getragen, ausgezeichnet gegen Schwindel, namentlich in den Wechseljahren.

Ungekämmt soll man nicht aus dem Hause gehen: denn die Hexen (die man sich ja als ziemlich zerzaust vorstellt), kriegen Macht über einen und führen Krankheiten herbei usw.

Der Bauer in der Nähe der Stadt ist mehr geneigt, einen „g'studierten Doktor" zu holen; trotzdem wird zwischen diesem und den Hausmitteln noch häufig genug der Rat und die Wohlmeinung eines „Bauerndoktors" eingeschoben. Das Vertrauen zu ihm kann auch durch mißlungene Kuren nicht erschüttert werden, denn: ,,mei', er kann ja nit alles versteh'n!" Die meisten Krankheiten rühren nach dem Volksglauben von einer Verkühlung her und dagegen gibt's zwei erprobte Mittel: einmal etwas Warmes auflegen und nachher — den Wein; denn der hat doppelte Wirkung: er hitzt und kräftigt, hat dies alles nichts genützt und ist ein Mensch krank geworden, dann muß man ihn nach christlicher Weise pflegen und ihm alles Gute angedeihen lassen, im Partschinser Armenhause (46) lag der Dechantsepp an einer sehr schmerzhaften Krankheit darnieder. Sein Zimmergenosse war der Schildwachhannes, ein ausgedienter Soldat. Der hatte es auf den Sepp abgesehen, föppelte ihn und tratzte den Bresthaften mit allerlei derben Kasemattenspässen. Aber der Lohn hiefür blieb ihm nicht erspart und der Soldat starb lange vor dem kranken Sepp. Nicht genug an dem: in der ersten Nacht nach dem Tode lag der Dechantsepp wach im Bett; da kroch ein haariges Ding zu ihm hinein und duckte sich an ihn, daß er glaubte, es sei die Katze; doch als er sie streicheln wollte, war von einer solchen keine Spur. Dies geschah noch zweimal und der Sepp merkte nun wohl, daß es der umgehende Geist des Soldaten sei. Er legte sich aus Furcht in ein anderes Bett.

Die Winterszeit, in der man sich die Wurzel aller Übel, die Verkühlung, so leicht zuziehen kann, ist nun bald vorüber.

Quelle: Der Burggräfler in Glaube und Sage, Hans Matscher, Bolzano 1933, S. 36ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Leni Wallner, Oktober 2005.
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