Nörggelen

Was Norggen sind?

Einige halten sie für Engel (47), die beim großen Himmelssturze Luzifers nicht bis in die Hölle hinabpurzelten. Sie hatten sich von dem Revoluzzer Erzengel Luzifer im Himmel droben nur aufhetzen lassen, ohne eigentlich dabei viel Böses zu denken; sie waren eher Mitläufer als Mittäter. Beim Fall aus der Höhe blieben sie an Bergen und Bäumen hängen, in deren Höhlungen sie hausen müssen bis zum jüngsten Tage. So gutmütig die Nöggelen im allgemeinen sind, manchmal können sie auch tückisch werden in Erinnerung an das verlorene Glück, um das sie den Menschen in der ewigen Seligkeit beneiden. Die trockenen Gelehrten jedoch halten den Norgg für eine Verkleinerung von Orco. dem mächtigen Gebirgsgeiste der Enneberger Dolomiten. Er war ein fürchterlicher Riese. Dieser, ins Zwerghafte übertragen, soll unser Norgg sein. Dieser Ausdruck hat sich auch noch insofern erhalten, als man im Burggrafenamte einen zwerghaften Menschen einen Norgg nennt.

Die Nörggelen sind nicht gleichbedeutend mit dem Zwergvolke der deutschen Sage (etwa mit König Laurins Zwergen), sondern sie sind romanischer Abstammung und bewohnten hauptsächlich solche Siedlungen.

Sei dem, wie ihm wolle, Leute genug (48) haben einstmals Nörggelen gesehen und ihr Wirken verspürt, so daß an ihrem Dasein nicht zu zweifeln ist; nur haben sie sich leider in ihre Höhlen zurückgezogen bis zum jüngsten Tage.

Solche Leute nun, die mit Nörggelen zu tun hatten, schildern sie als kleine Männchen von mißratener Gestalt und mit dickem Kopfe. Der Mund reichte fast von einem Ohre zum anderen und hatte wulstige Lippen. Die tiefliegenden Äuglein waren voll Schelmerei und Arglist, manchmal auch Tücke. Der unförmliche, aufgetriebene Bauch ruhte auf dünnen, krummen Beinen. Der lange Bart war altersgrau, die Stimme kropfig kratzend. Grauer Loden umkleidete sie; viele aber trugen ein rotes Jankerl, rote Höslein und grüne Strümpfe. Bekamen sie für ihre Dienstleistungen ein neues rotes Jankerl, hatten sie damit eine närrische Freude; doch ein ganzes Gewand durfte man ihnen nie schenken.

Sie lebten sehr vertraulich mit den Menschen, halfen dem Gesinde bei der Arbeit in Haus und Stall, ja verdingten sich selber als Ehhalten. Sie neckten gern die Dienstleute und konnten manchmal auch recht zuwider werden. Vereinzelte Norggen (49) hatten es besonders auf häufig schlenggelnde Mägde abgesehen und tratzten sie beim Umzuge auf jede Weise. Ein unguter Norgg hauste beim Kofler (50) am Marlinger Berg. Er ließ Gundl, der Viehmagd, keine Ruhe mit seinen Neckereien. Er patschte ihr bald da, bald dort eins hinauf, riß an den Zöpfen, zog ihr den Melkstuhl unterm Sitze fort, kurz, erfand täglich neue Streiche. Nach drei Jahren hatte die Dirn solche Plackereien satt und verdingte sich an einen anderen Bauer jenseits des Tales. Aber der Norgg lachte und sang mit kropfiger Stimme:

„I geh' mit Hüder und Gezüder
Mit dir übers Tal hinüber."

Und wirklich, als der Schlenggeltag kam, schlenggelte der Norgg mit der geplagten Dirn.

Das gleiche Schicksal teilte eine Magd im Hause des Grafen Mamming (51). Sie schlenggelte gar ins Otztal hinüber, aber der Norgg folgte ihr. Hie und da trieb einer die Spässe doch zu weit (52). Beim Jomann im Hagen neckte einer die Magd, daß es nicht mehr schön war. Er verschüttete ihr die Milch, bewarf ihr Gesicht mit eben erzeugtem Kuhmist, zerrte an ihren Haaren, verwickelte schier unentwirrbar die Viehketten und war erfindungsreich in immer neuen Scherzen. Endlich wandte sich die Magd an einen Geistlichen. Der gab ihr ein „Harnisches Gewand" zum Anlegen, daß ihr der Norgg nicht übel mitspielen könne, und sie stieg auf Rat des Priesters zuoberst in die Wände des Naiftales hinauf. Der Norgg verfolgte das Mädel auf Schritt und Tritt und beiden folgte heimlich der Geistliche. Dieser sprach an geeigneter Stelle einen kräftigen Bannfluch und seither ist der Norgg an den Felsen geheftet und die Dirn hatte Ruhe.

Gar so lange ist's noch nicht her (53), daß die Nörggelen mit Vorliebe im Hagen1) hausten, sogar am hellichten Tage. Eine Gasse war besonders belebt, so daß man sie die Norggengasse nannte. Bei Nacht war es besser, diese zu meiden, sonst konnte man allerlei unliebsamen Schabernack erfahren. Auch den Steinernen Steg (54) hielten Norggen eine Zeitlang besetzt und ließen an den Vorübergehendenihren Mutwillen aus, besonders, wenn morgens Leute die Brücke zum Kirchgange in die Meraner Pfarre benützten. Da legten sich die Bösewichte in die Wasserleitung, die unterm Gehsteig durchführt, so daß das Wasser überging und die Leute nicht hinüberkonnten. Am liebsten plagten sie Mädeln. So auch am Kränzler Hofe (55). Die Nörggelen lösten das Vieh von den Ketten; legten im Stalldunkel Mistgabeln und Melkstühle quer in den Weg, damit die Dirnen darüberfielen; warfen während des Melkens den Melkstuhl um, daß die Magd in die Streu kugelte; nahmen nachts in der Schlafkammer den Mädeln Decken und Überbetten weg, und wenn ein Streich gelungen war, hörte man die Männchen lachen und pfnuttern 2).

1) Ein Untermaiser Dorfteil
2) kichern

Ebenfalls beim Kränzler (56) diente eine Magd, die ihre Stallarbeiten so frühe fertig brachte, daß es mit rechten Dingen unmöglich zugehen konnte. Dabei war alles ordentlich. Das Vieh war sauber, nie krank und gab außerordentlich viel Milch. Aufgehetzt von der neugierigen Bäuerin, schlich der Bauer in den Stall und belauschte, wie die Nörggelen der Magd füttern, striegeln, bürsten und melken halfen. Die Magd bekam nun allerlei anzügliche Redensarten von der neidischen Bäuerin zu hören, so daß sie zur nächsten Lichtmeß schlenggelte. Ihrer Nachfolgerin wurde jedoch gleich am ersten Tage der Melkstuhl „ausunter" gezogen, so daß sie in den Mist kugelte und die ganze Milch verschüttete. Fluchend warf sie voller Zorn eine Heugabel in die dunkle Ecke, aus der schadenfrohes Gekicher laut wurde. Von nun an gab es jeden Tag ärgere Neckereien, bis das Mädel vor der Zeit anderswohin schlenggelte.

Beim Oberhauserknott (57) in der Vöraner Gegend lauerten Norggen auf die Milchmägde und wollten von ihnen frische Milch geschenkt haben. Taten es die Dirnen, so fanden sie abends daheim eine Kanne voll Gold, sonst aber eine Kanne voll Blut.

Hans Matscher, Nörggelen

Zu einem Hirten in der Spronser Bockhütte (58) kam ein Nörggele und fragte um den Weg nach Vals, den ihm der Hirte genau zeigte; allein das Männchen kümmerte sich nicht darum, sondern stieg über Stock und Stein, Strauch und Latschen kerzengerade bergan. Auf einmal klirrten alle Viehketten in der Alm und auf den Ruf des Norgg: „Hui, hui, hui!" stürmte die Leitkuh und alle anderen mit aus der Umzäunung in die Wände und Felsen. Wohl schnalzte der besorgte Hirte dreimal mit der Peitsche, an der er einen geweihten Pfoß hatte, aber es hatte keine Gewalt über den Zauber. Als das Männlein dies sah, rief es:

"Glucka Hauseara (Hausehre)
Wieder umkearal"

Alles Vieh kehrte ruhig und unversehrt in die Hürde zurück.

Wenn im Schlosse Vorst (Forst, 59) die Bäuerin Mus kochte, streute eine unsichtbare Hand Asche statt Mehl in die Pfanne. Die Köchin schimpfte natürlich nicht wenig, erzielte aber damit nur einen Heiterkeitserfolg in einem Küchenwinkel.

Überm Saxenhof (60) auf dem Vellauerberge sind Höhlen, die man „Norggenlöcher" heißt. Darin paßten die Nörggelen, bis jemand mit einer Fuhre daherkam. Ging's den steilen Weg abwärts, dann schoben sie am Karren an, daß er fast nicht mehr zu halten war; umgekehrt, hängten sie sich hinten an den Wagen an und machten sich schwer, daß man ihn kaum von der Stelle bringen konnte. Einmal trieben sie den Spaß soweit, gar Kuckuckseier in fremde Nester zu legen. Beim Maiser Bauern Posch (61) und beim Kuenser Broater wuchsen zwei Kinder heran. Eines Tages ritt ein Unbekannter beim Posch vorüber und rief: „Posch, mit dein' Krumpen Roß, sag' dem Bruder Dschedrawee, der Kabeskopf sei gestorben!" Richtig, war am selben Abend beim Broater das Kind verblichen und auch jenes beim Posch ward hinfort nie mehr gesehen. Es waren unterschobene Nörggelen gewesen. Beim Pfleger in Schloß Auer (62) war ein überaus fleißiges Nörggele, das Tag und Nacht in der Mühle arbeitete und alles Getreide mahlte. Dabei ging natürlich das Gewand allmählich in Fransen. Da ließ der dankbare Pfleger ihm Schuhe, Hosen und Wams machen und schenkte es ihm. Nun aber hub das Nörggele bitterlich zu weinen an und verschwand gegen Longfall auf Nimmerwiedersehen.

Auch in Haslach (63) hatte ein Müller dank der Arbeitsfreude eines Nörggeles gute Zeiten. Er brauchte sich abends nur ins Bett zu legen und in der Frühe war alle Arbeit getan. Jeden Abend kam nämlich aus Sprons ein Nörggele und mahlte den hergerichteten Vorrat herunter. Aber auch dieses ward nie mehr gesehen, als solchen Arbeitseifer der Müller mit einem neuen Gewandl belohnen wollte.

Beim Walkner (64) unterhalb Turnstein verdingte sich ein Norgg als Viehhirt und betreute seine Pfleglinge dermaßen, daß sie ganz auffallend gediehen. Als ihm der Bauer ein neues Gewand in den Stall gehängt hatte, lief das Männlein weinend davon, so daß man seinen Jammer noch weit vom Berge herab hörte.
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Das Schloß Rundegg besaß einst der Freiherr Bernhard von Paravizini, der eine besondere Vorliebe für schöne Pferde hatte. In seinem Stalle (63) putzte ein Nörggele tagtäglich ein Pferd sauber, schön, glänzend, nur zu unterst am Schweife ließ er stets eine Knattel (Schmutzklumpen). Der Stallknecht des Schloßherrn hatte nie ein Wort verlauten lassen, daß er heimlich so werktätige Hilfe habe. Eines Tages ging der Herr von Paravizini durch den Stall, bemerkte den schmutzigen Ballen, schimpfte, wie es nur ein Kavallerist kann, und schnitt die Knattel weg. Daraufhin hörte man ein rauhes Gelächter in einer Ecke. Von dieser Stunde an begann das Pferd zu siechen und lag eines Morgens tot am Boden.

Die Nörggelen tragen ihren eisgrauen Bart mit Fug und Recht (67). Auf dem Mutkopfe konnte man einen Norgg singen hören:

"Wie bin ich so grau,
Wie bin ich so alt,
Denk' die Mut dreimal als Wies'
Und dreimal als Wald."

Diese steinalten Männchen waren nicht nur neckische Kobolde, bereitwillige Helfer, sie sahen auch auf Ordnung und Zucht.

Wiederum im Schlosse Vorst (Forst, 68) war, als es einem Bauern gehörte, ein Nörggele, das nachts immer Lärm schlug, wenn die Knechte schon mehr früh als spät von einer Lumperei heimkehrten. Im Stadel oder in der Torkel 3) ging es dann zu, als ob leere Fässer herumgerollt würden. Alles im Hause erwachte. Den Knechten war solches freilich alles eher als lieb, aber der Bauer wußte am nächsten Tage ihre Arbeitsunlust gebührend zu deuten. Das in der Meraner Gegend bekannteste Nörggele ist das Purzinigele.
3) Kelterraum

Quelle: Der Burggräfler in Glaube und Sage, Hans Matscher, Bolzano 1933, S. 46ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Leni Wallner, Oktober 2005.
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