Wimmetzeit [Weinlese]
Um die Zeit von Maria Himmelfahrt beginnen die Weintrauben sich langsam zu färben, das Obst auf den Angern wird immer verlockender und so ist es am Platz, dem vom Paradies her angeerbten "Glust" nach verbotenen Früchten einen Wächter entgegenzustellen, mit anderen Worten: am Hochunserfrauentag ziehen die Saltner auf, was man am besten mit „Weinhüter" übersetzt.
Diese gibt es heute in einer Art Polizeiuniform; der alte Saltner aber ist leider bis auf wenige Ausnahmen zu einer sagenhaften Gestalt geworden: es war einmal.
Er war einmal — es ist noch gar nicht lange her — und schlich durch die Patäune [Weinlauben] war da und dort und überall und stand urplötzlich in seiner abenteuerlichen Tracht vor einem, daß man erschrak. Man erzählt, ein Engländer habe nichts ahnend einen Weingarten durchstreift; auf einmal tauchte der Saltner vor ihm auf. Da fiel der Fremdling in die Knie vor ihm und flehte um sein Leben. Der Saltner wurde aus dem englischen Kauderwelsch natürlich nicht klug und hat es nie erfahren, ob er vom Engländer für einen Räuberhauptmann oder gar für den Teufel selber gehalten worden war. Letztere Meinung hätte freilich weit fehlgeschossen; denn der Teufel hat kaum einen grimmigeren Feind als den Saltner. Beim Schoatenguter in Plars waren ein bißchen gar zu flotte Mägde (214) in Dienst und sie sahen es gern, wenn Burschen zu ihnen fensterln kamen. Davon muß ein feiner Gesell Wind bekommen haben. Er war nicht aus der Gegend und die Mädeln merkten es auch gleich am ganzen Getue, denn er konnte so zärtlich reden, zutatig sein, schmeicheln und wußte so feurige Liedlein zu singen wie niemals ein Lagunder oder Plarser. Die beiden Weibsleute wurden ganz vernarrt und wer weiß, wie es gekommen wäre, wenn nicht rechtzeitig ein Saltner ihr Schutzengel geworden. Dies war der Maretscher Natz, der gerade zum Hofe kam, um dort als Zeichen seiner Wachsamkeit „den Spieß schreien" [An der Hausmauer reiben, dass das Eisen schrillt] zu machen. Ihn ärgerte das leichtsinnige Treiben des Jungvolkes; er schlich näher und staunte nicht übel, als er auf der Leiter zwei Bocksfüße gewahrte. Da gab es keinen Zweifel mehr: der schäkernde Geselle war der Leibhaftige in Person! Der Natz holte das Kreuzeisen aus der Lederjoppe und befahl dem Teufel von dannen zu fliehen. Der grinste, sprang, keck genug, einem Kreuzeisen zu trotzen, herab und begann mit dem Saltner zu raufen. Der jedoch schlug mit dem Eisen derb auf den Kerl los, daß der Satanas heulend entfloh mit Hinterlassung des bekannten "höllischen Gestankes".
In der inneren Rocktasche der Joppe am Rücken trugen die Saltner das Kreuzeisen, fast ein Pfund schwer; die neueren Eisen waren leichter, aber die alten Saltner berechneten noch die Wirkung nach dem Gewichte. Das Eisen besteht aus zwei in Kreuzform zusammengefügten Stücken, deren vier Enden scharfkantig zugespitzt sind. Es ist mit eingeritzten Sternchen und Kreuzlein verziert. Es war geweiht, und wenn es von besonderer Wirkung sein sollte, ließ es der Weinhüter noch ein ganzes Jahr in der Maiser Pfarrkirche unterm Hochaltar versteckt liegen. Manche Saltner wissen Wunderdinge von der Kraft solcher Eisen zu erzählen.
Beim Haller in Frauberg (215) wurde lange ein altes Kreuzeisen aufbewahrt, das dem Saltner Peater gehört hatte. Er hielt es sehr wert gegen böse Hexenwetter und allerlei Unglück. Einst warf er es einer Hexe auf den Fuß und die Wunde konnte nimmer geheilt werden. Der Franz Gapp (216) war Saltner in der Plarser Gegend und ist im Jahre 1849 gestorben. Ein Bauer fragte ihn um Rat, weil er auf einem Weg, den er zur Nachtzeit oft begehen müsse, einen unheimlichen Schatten sehe, der gewiß kein gutes Wesen sei. Der Franz riet, dort ein Kreuzeisen aufzustecken. Der Bauer tat es und seitdem blieb die Erscheinung aus. Die Hexen, denen die Kreuzeisen nicht angenehmer waren als ihrem Meister, dem Teufel, gaben sich oft Mühe, es einem Saltner abzuschmeicheln.
So war ebenfalls in der Plarser Gegend ein hübscher Bursche (217) Knecht, der es allen Mädeln antat und sogar von reichen Bauerntöchtern rote Nagelen erhielt. Rote Nelken bedeuten Liebe. Auch die Kundl vom Talerhofe stellte dem Vielbegehrten nach. Der Knecht aber tat nichts dergleichen, nicht etwa, weil er vor ihr oft gewarnt wurde; denn ihre Mutter war im Rufe einer Hexe gestanden, welche Eigenschaft leicht auf die Tochter abfärbt. Darüber lachte er und meinte, er sei sicher, habe er doch allewegs ein Kreuzeisen bei sich. Das wurde der Kundl hinterbracht und sie beschloß, ihm das Eisen abzulocken, um ihn selber in ihre Gewalt zu bekommen. Um Maria Himmelfahrt übernahm der Bursche den Saltnerdienst und vernahm in einer herrlichen Mondnacht vom Plarser Eck herab einen Gesang, der ihn unwiderstehlich anzog. Da fand er ein Mädchen auf einem Felsen sitzen: Lange schwarze Haare, silberschimmerndes Gewand, eine goldene Zither in der Hand — — das konnte nur ein saliges Fräulein sein! Er setzte sich zu ihr und sie hub zu spielen an, daß es ihm wie ein lieblicher Traum durch die Seele zog und alsbald sank ihm der Kopf schlaftrunken in den Schoß der Saligen ... Ein fürchterlicher Schrei weckte ihn: das Fräulein war verschwunden, und wo sie gesessen, lag rotglühend das Kreuzeisen. Die Taler Kundl hatte anderen Tags eine häßlich verbrannte Hand, „von einem heißen Pfannenstiel“ sagte sie. Der Saltner aber konnte die Lehre ziehen, daß der Mensch sich nicht immer auf sich selber verlassen könne, wohl aber auf ein tüchtiges Kreuzeisen, denn dies war glühend geworden, als die Hexe es ihm rauben wollte. Außer mit dieser Waffe gegen den Teufel und seine Hexen war der Saltner mit einer Hellebarde ausgerüstet gegen die Menschen, die in den Weinberg des Bauern gehen, um seinen Überfluß an Trauben heimlich zu verringern.
Ein Maiser Weinhüter (218) traf einen Dieb, der bereits einen hübschen Korb voll Auslese beinander hatte, und wollte ihn pfänden. Der aber begann zu raufen. Das ging dem Saltner über den Spaß und er rannte ihm die Hellebarde durch den Leib. Seit dieser Zeit spukte es lange um die Hütte des Saltners, Steine flogen und allerhand Gespenstertreiben machte den Ort unheimlich. Endlich half ein Priester dem Unwesen ab.
Die Zeit rückt weiter und bringt uns schon dem 24. August entgegen, der dem Apostel Bartholomäus geweiht ist. Die Bauern sagen:
"Um Bartlmä
Schaut der 5chnee
Übers Joch he'."
Das heißt, es fängt zu herbsteln an und auf den Jöchern kann's schon schneien.
Das Fest Maria Geburt (8. September) oder der "kleine Frauentag" wird besonders feierlich in Lana begangen mit sehenswerter Prozession, Fahnenschwingen, Böllern und Kirchweihtrubel.
Auch heute ist in der Kirche Kräuterweihe, aber kleineren Stiles. Die „Miet"-Buschen werden meist von der Großdirn zur Weihe getragen. Der umfangreiche Strauß besteht aus Hasellaub, Johanniskraut, Brennessel, Rosmarin, Weinkräutl, Baslguam, Astern, Georginen, Brennender Lieb, Schmelchen (Riedgras). Das gedörrte Pulver wird den Kühen in die „Miet" (Lecke aus Salz und Grischen) gemischt. Drei Tage nach den Lananern kommen die Maiser dran und begehen das Fest Maria Namen. Mit großer Prachtentfaltung zieht der Umgang durch den Ort als Danksagung für die Abwendung der Kriegsgefahr Anno 1797.
Am Vorabend wird das alte Mirakelbild aus dem 11. Jahrhundert von der Maria-Trost-Kirche in die Pfarre übertragen.
Der Sage (219) nach brach die Naif im Jahre 1373 so verwüstend aus, daß die Maria-Trost-Kirche ganz mit Schutt überschwemmt wurde und das Gnadenbild verloren ging. Als man 1624 den Schutt wegräumte, fand man das Bild gänzlich unversehrt wieder.
Die Weintrauben hängen nun schwer und strotzend von den Patäunen. „Saggra, wenn jetzt halt die Sunn no etlene Taglen draubrüaten tat!" Jeder Sonnentag mehrt den Zuckergehalt, aus dem bei der Gärung entsprechend mehr Grade Alkohol werden. Dafür ist am 21. September auch schon der richtige Heilige zur Stelle
„Mathies
Macht die Weimer süeß."
Hat der Apostel Matthäus seine Pflicht genügend erfüllt, beginnt Ende September, anfangs Oktober die Weinlese, „das Wimmen". Die ganze Erntezeit ist im Burggrafenamte nicht mit Festgebräuchen verknüpft und die sogenannten „Wimm- und Winzerfeste" der Promenade gibt es in der ganzen Gegend nicht, ebensowenig wie das „Schuhplatteln".
Der Saltner mußte beim Wimmen mithelfen und die Rebmesser wetzen; brachte er keine gute Schneid dran, wurde er von den Winzerinnen gehänselt:
„A longe Wetz — a kurze Schneid,
A longe Lieb — a kurze Freud."
Der Weinlese folgt das Abernten der Maisfelder und nebenher das Köstendreschen. Das Reinigen der Maiskolben von der dürren Blätterhülle, das "Türkentschillen", ist manchenorts noch Heimgarten-Arbeit und wird nach dem Abendessen verrichtet. Nachbarn kommen zusammen und helfen sich gegenseitig unter Erzählen von allerhand Geschichten. So um neune herum stellt die Bäuerin eine Schüssel gebratener Kastanien und den Weinkrug auf den Tisch, um den es noch ein gemütliches Plaudern gibt, inzwischenhinein gähnt das eine und das andere, ein Zeichen, schlafen zu gehen.
Im Jahre 1757 setzte eine arge Überschwemmung das Etschtal unter Wasser. Auf weite Strecken war der Boden mit Geröll und Schutt bedeckt, so daß er auf lange Zeit für Wein und Korn unbrauchbar war. Zur Kultivierung führte man das türkische Korn ein. Große, schöne, namentlich rote Türkenkolben werden an die Arme des Kruzifixes im Herrgottswinkel der Stube gehängt und auch vielfach bei Feldkreuzen als Zeichen der Dankbarkeit.
Nun ist die Ernte unter Dach und der Wein in der Torggel.
Ja, es gibt sogar schon „Neuen"!
Dazu muß es auch eine Gelegenheit geben, ihn zu trinken und sich dabei der eingebrachten Ernte zu erfreuen. Da kommt der Allerweltskirchtag am dritten Oktobersonntage gerade recht. Der ist vor allem ein großer Kuchlfeiertag, an dem man sich das „Kirchtigbratele" nach der vielen Arbeit in Wiese, Feld und Weinberg doppelt schmecken läßt. Nachmittags geht es in den Wirtshäusern bei Musik, Tanz und Kartenspiel lustig genug her; doch schützt das ruhige Temperament des Burggräflers ihn vor den andernorts sprichwörtlichen Kirchtagsraufereien. Die Bübeln und die Madelen ergötzen sich beim Vieh auf der Weide und bei dessen Heimkehr an Peitschenknallen und Schellenklang.
Quelle: Der Burggräfler in Glaube und Sage, Hans Matscher, Bolzano 1933, S. 213ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Leni Wallner, Dezember 2005.
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