Der Bauer vor Gericht.
Bäuerle, Carl Jordan

Die Herren des k. k. Bezirksgerichtes sind im Verhandlungs- oder Tagsatzungszimmer versammelt. Die Federn der Schreiber knistern über das Papier hin. Dort sucht einer derselben, die Feder quer im Munde, nach gewissen Akten im Regale und ein anderer wischt mit dem Hasenhaxl den reichlich verschütteten Streusand von seinem Tische und erfrischt seine Kopfnerven durch eine gewaltige Priese, welche ihm der Amtsdiener aus der "birchenen" Dose reicht.

Da klopft es an, die Thüre, ungefähr so, als geschähe es mit einer Hand, die in einem dicken Fäustling steckt.

Ohne die Aufforderung einzutreten abzuwarten, öffnet sich die Thüre vorsichtig und langsam, nur so weit, um den Kopf des Bauern hereingucken zu lassen.

"O baleib, dô isches nitta".

"Was wollt ihr Bauer und wen sucht ihr".

"A i wer schun fahl gôngen sein".

"Nun, kommt doch herein", sagt hierauf der Beamte, "das wird sich schon herausstellen".

Gasthaus, Carl Jordan

Endlich schiebt sich die ganze Gestalt in die Stube. Vorsichtig mustert er alle Anwesenden, sieht sich rings im Kreise um, wohin er seinen Regenschirm stellen könnte, den er zum Schlüsse so placirt, daß er während der ganzen folgenden Verhandlung jeden Augenblick umfällt, und mit einem entschuldigenden: "Oha", oder "sell will i sechn", wieder aufgestellt wird.

"Nun, warum kommt ihr her zu uns, Bauer?"

"Joa wögnen Paul".

"Was für ein Paul, was soll's mit dem Paul?"

"Joa und die Kua".

"Mein Gott, es ist rein zum Haarausreißen", ruft ungeduldig der Beamte, "was ist denn mit dem Paul und der Kuh".

I kônn drei Eid ôlögn, ôlle zöch'n kônn i auröckn, daß i recht hôn", antwortet der Bauer.

"Ja auf was wollt ihr einen Eid ablegen, in Gottes Namen?"

"Daß sie nit traget ist".

"Ja was geht denn dies uns an", ruft der Amtirende [Amtierende], aufspringend.

Der Bauer kratzt sich verlegen hinter den Ohren und es kommt ihm fast gelegen, daß der Schirm gerade umfällt.

"Joa, ihnen geat's freili nicht uhn, ober er hott's gsogt“.

"Wer denn, zum Teufel noch einmal!"

"Joa der Paul".

Der Beamte macht, um sich zu beruhigen, einige Gänge durch's Zimmer, setzt sich endlich hin und fangt mit dem Bauern, wenn möglich in der Mundart desselben, zu verhandeln an.

Es ist kein kleines Stück Arbeit, so nach und nach herauszuquetschen, wie die Geschichte eigentlich war.

Mißtrauisch guckt der Bauer auf den nebenan arbeitenden Schreiber; fast mehr zu dem, als zum Beamten selber sprechend, denn er ist im Ungewissen, was der alles niederschreibt; am Ende gar seine Aussagen. Und ein schreibender, besonders ein schnellschreibender Mensch macht auf den Bauern immer einen großen Eindruck.

Innerlich nimmt er sich fest vor, nichts zu unterschreiben, denn "mit die Schriften" ist schon mancher "augsessn".

"As der Schrift lesn sie's gônz ônderst außer, woast, ôls wia du 's gmuant hôst", versichert der Bauer.

Die Verhandlung in diesem Falle wäre nun eine ganz leichte und ein Ausgleich gut möglich.

Der Bauer hat eine Kuh unter der Zusicherung gekauft, sie hätte "augnummen", wie sie "dermit zum Stiar gfôhrn sein". Diese Zusicherung hat ihm aber der Verkäufer selbst nicht gegeben, der die Kuh eben, weil "sie hôrt aunehmerd ist", fortgibt, sondern der "Manschet". Es ist dies ein ganz gewöhnlicher Bauernkniff.

Der Bauer ist aber nicht ohne weiters zu Gericht gegangen, sondern hat zuerst einen "Winkelschreiber" aufgesucht, der ihn gehörig präparirt [sic] hat.

Mit zusammengesteckten Köpfen sitzen sie in einem Kaffehause und der Bauer horcht mit gespannten Ohren auf die Belehrung des von Gott begnadeten klugen Mannes.

Und "a pfiffiger Mensch" muß er sein, der Winkelschreiber, weil er "schun drei môl kuckt ist".

Daß er schon drei Strafen abgesessen, erhöht nur sein Ansehen. Und wenn ihm der Redefluß ausgeht, und er markirt [markiert] dies schlauer Weise so oft, als sein Glas leer ist, klopft der Bauer der Kellnerin um "a frische Hôlbe".

Und als er dem Bauern nun gar einen Fall erzählt, genau wie der vorliegende, den er "a gwunnen" hat, "schôfft er gschwing a Bratl un".

Diese sogenannten "Winkeladvokaten" sind vom volkswirthschaftlicheu Standpunkte aus ein Schaden, denn sie "schürn" nicht selten so lange und zwar in vielen Fällen auf beiden Seiten bis ein Streit "in Zug kimmt", nur um zu verdienen. Es gibt sogar wirkliche Advokaten, die auf gutem Fuße mit Leuten so zweifelhaften Schlages stehen, weil sie ihnen Kundschaft zuführen.

Bei den gerichtlichen Vernehmungen ist der Bauer ungemein zurückhaltend mit seinen Antworten, die er auch selten bestimmt abgibt.

"Sell werd schun sein". "'s ist nur nimmer recht wissentle" u. s. w.

Es würde zu weit führen, alle die Kniffe aufzuzählen, die gebraucht und angewendet werden, um noch "a Hinterthürl" zu haben.

Wird ihm irgend ein vermeintliches Recht abgesprochen, so tritt er hervor, zieht einen Bündel Schriften aus seiner Tasche, meistens alle seine Schriften, auch solche, die auf die laufende Verhandlung keinen Bezug haben, und sagt triumphirend: "i wer mein Gerecht schun auweisn".

Sucht ihm der Richter jedoch klar zu machen, daß er Unrecht habe, daß seinem Gegner das Recht zugesprochen werden müsse, so entgegnet er: "O baleib, mei Recht ist schun von Ôlters her: wenn miar do kuan Recht werd, wer i schun an ondern Ôrt findn".

Ist ein Bursche in Sachen einer Paternitätsklage vorgeladen, so wird er den intimen Umgang mit dem Mädchen kaum leugnen, höchstens wird er sagen: "ôndere sein a zuadn gôngen"; in vielen Fällen wird er aber auf die Frage, was er nun zu thun gedenke, antworten: "ôschwörn".

Der Schwur spielt eine große Rolle bei den Bauern und wird auch bei jedem Anlaß angetragen.

"I kônn ôlle zöchn Finger auröckn derfür, sou wôhr isches".

Und wenn von der Gegenpartei die Aussage bezweifelt wird, kann man gleich hören: "A heilis Jurament kônn i drau ôlögn".

Ob es unsere Bauern mit der Heiligkeit des Eides sehr strenge nehmen, die vielen Abstrafungen wegen Meineid lassen es bezweifeln und ein alter, erfahrener Jurist theilte mir die Aussage eines Bäuerleins mit, die da lautete: "Krôd zu wettn getrauet i mi nit, ober beschwörn kannt i's".

Wie wir Specialärzte haben für alle möglichen Krankheiten, so hat der Bauer seine bestimmten Advokaten für besondere Falle.

"Af Boazn ist uaner, der kennt sie ba die Wasser aus". Ein anderer ist wieder tüchtig für "ôlte Recht und Grenzn". Dann finden sich welche, "de 's Intreibm" aus dem Fundament verstehen.

"Woast, der zwickt diar 's außer", sagt der Bauer, "und wenn der Tuifl drauhucket".

Nur "'s Roatn", meinen die Bauern, können alle Advokaten gleich gut. "Do war diar a Apothegger lei a Bantlkrumer dergögn".

Dem Bauern, der "af 's Gricht" will, kennt man sein Vorhaben schon auf der Straße an. Er schneidet ein äußerst bedenkliches Gesicht, macht vorsichtige Schritte, als wäre er schon der in Gerichtsstube, nimmt ganz in Gedanken verloren auf der Straße seinen Hut herunter und streicht sich die Haare glatt in die Stirne. Den Gerichtsdiener grüßt er mit vertraulicher Höflichkeit, und ganz gewaltig Respect [Respekt] hat er, wenn ihm Jemand mit Acten [Akten] unterm Arm begegnet.

Kommt es in der Gerichtsstube zum Abschluß, zu einem Ausgleich vielleicht, so verlangt er, daß es "in die Schrift inni muaß", daß er "nochgiebi" gewesen sei.

Mit langen Schritten wandert er in die Tabaktrafik gegenüber, um den vorgeschriebenen Stempel, den er vorsichtig in ein Papier gewickelt zwischen Daumen und Zeigefinger bringt, "sist grauset sich der Hear epper lei ban oleckn".

Dann klemmt er seinen Hut zwischen die Knie, nimmt die Feder zur Hand, taucht selbe nebst Zeig- und Mittelfinger in das Tintenfaß, klemmt die Zunge unter die linken Schneidezähne und unterschreibt.

Mit einem freundlichen: "Nôr lôßn miars hôlt a sou" schiebt er zur Thür hinaus.

Diese Federzeichnung bitte ich nicht allgemein anzuwenden.

Es sind dies eben humoristische Figuren, wie sie in jedem Stande vorkommen. Diese Figuren aber gehören trotz alledem zur Charakteristik unserer Tiroler Bauern. Es finden sich hingegen wieder Bauern, besonders unter denjenigen, die als Sachverständige herangezogen werden, in Angelegenheiten zwischen Regierung und Gemeinde, oft Männer, die neben einer staunenswerthen Gesetzeskenntniß eine rasche Auffassungsgabe und einen Scharfsinn besitzen, welche einen, Juristen Ehre machen würden. Sogar im Landtage haben Burggräfler Bauern gesessen, etwa nicht als einfache Stimm-Maschinen, sondern als Männer, die in Wort und That die Interessen ihres Bezirkes kräftig vertreten haben.

Quelle: Der Burggräfler, Bilder aus dem Volksleben, Karl Wolf, Innsbruck 1890, S. 23ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Leni Wallner, Januar 2006.
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