Der Burggräfler.
Zum Wohle, Carl Jordan

Das Land Tirol ist nicht mit Unrecht berühmt durch die Schönheit und Mannigfaltigkeit seiner verschiedensten Trachten, seiner Sitten und Gebräuche. Erst in jüngster Zeit sind die oft äußerst originellen und malerischen Trachten fast ganz verschwunden und mit ihnen leider viele für das Land charakteristische Sitten und Gebräuche. In den meisten Distrikten Tirols hat der in seiner Erscheinung malerische Landbewohner den Bauern ausgezogen und sich oft in der ungeschicktesten Weise als Städter maskirt [maskiert].

Maskirt, denn er fühlt sich in der ersten Zeit im "langen Gwand" ebenso unbehaglich, wie ein Spanier oder ein Ritter auf dem Maskenballe und bleibt er ein maskirter Bauer sein langes Leben hindurch.

Nur höchst selten, bei festlichen Anlässen vielleicht, oder bei Schützenaufzügen werden die alten, schönen Trachten wieder hervorgesucht und das nicht mehr vorhandene Stück mit unechten Stoffen ersetzt. Nach echten ist keine Nachfrage und werden selbe auch nicht mehr fabricirt [fabiziert].

Es gibt in Tirol nur wenige Bezirke, in welchen sich der Bauer in seinen Sitten und Gebräuchen und in seiner Nationaltracht rein erhalten hat. Und merkwürdigerweise ist einer dieser Bezirke das Centrum [Zentrum] des ganzen Fremdenverkehres im Lande, das Burggrafenamt mit dem Kurorte Meran in der Mitte.

Tausende und aber Tausende haben diesen weltbekannten Kurort im Laufe der Jahre besucht, die herrliche Umgebung durchschwärmt, mit dem Landvolke im regsten Verkehr gestanden, ja bei ihnen gewohnt.

Alles dies hatte keinen oder wenigstens nur einen verschwindenden Einfluß auf die Einwohnerschaft dieses Bezirkes. Der Burggräfler ist seinen Sitten und Gebräuchen und seiner schönen Tracht treu geblieben.

Wenn alle Anstrengungen im Süden unseres Landes gegen die Verwälschung der Einwohnerschaft nichts nützen würden, wenn der Deutsche immer weiter zurückweichen müßte vor dem Wälschen, so wäre das Burggrafenamt der erste unüberwindliche Damm.

Im Burggrafenamte ist die Vermengung des Deutschen mit dem Wälschen unmöglich.

Mit einer zähen und lobenswerthen Ausdauer hängt der Bauer am Alten und sträubt sich, oft selbst zu seinem Schaden, gegen alles Neue.

Er ist aber intelligent und weiß sich doch alle Fortschritte im Haushalte und Landbau, die ihm nützlich sind, anzueignen.

Der Burggräfler ist ungemein konservativ in Bezug auf das Althergebrachte und zurückhaltend gegen das "Nuimodische".

Die Grenzen des Burggrafenamtes sind, ich möchte sagen, haarscharf gezogen.

Beobachten wir das Dörfchen Burgstall am linken Etschufer, in welchem sich in den letzten zwei Jahrzehnten die wälsche Bevölkerung breit gemacht hat; man erkennt dies sofort an dem Schmutz der Häuser und Kinder, und das genau in derselben Höhe am rechten Ufer liegende Dorf Lana, so finden wir meine Aufstellung bestätiget.

In Burgstall steigt der Knecht in seiner schmutziggelben Fustagno-Hose herum, und die Magd trägt das Wasser mit dem Querholz in den kupfernen Kesseln. Die Wohnhäuser sind überfüllt, denn jeder Hof, auf welchem der deutsche Bauer allein und behäbig hausen würde, ist in so viele Theile aufgestückelt, als heiratsfähige Kinder da sind und er genug Polenta abwirft, um sie alle — gerade vor Hunger zu schützen.

In Lana hingegen steht der große Hof mitten in den üppigen Feldern und Weingärten.

Emsig arbeitet die Bäuerin mit ihrer Tochter im Gemüsegarten, denn die Burggräfler beginnen zur warmen Jahreszeit jede Mahlzeit niit Salat.

Der Bauer in seiner malerischen Nationaltracht bringt den großen Krug Wein vom kühlen Keller und schmunzelt über das schöne Ochsengespann, mit welchen, der Knecht in seiner ledernen kurzen Kniehose, die weiße Schürze vorgebunden, den mit rothen [roten] Schnüren umwundenen Hut keck auf's Ohr gedrückt, den hochbeladenen Heuwagen zur Scheune fährt.

Die Dirne aber trägt das klare Brunnenwasser in einem blühend weiß gescheuerten Schaff auf dem Kopfe und lächelt munter; ob über die Wassertropfen, die den entblösten Arm entlang bis unter die bauschigen Ärmel laufen, oder über das vielsagende Augenzwinkern des munteren Knechtes, wer weiß es.

Der Burggräfler ist ein deutscher Bauer im vollsten Sinne des Wortes.

Er fühlt sich auf seinem Hofe als Herr und haltet die Zügel der kleinen Regierung fest in seinen Händen. Er sorgt in seinem Hause für strenge Einhaltung der religiösen Pflichten und ganz besonders für Zucht und Ordnung unter seinem Gesinde.

Unter der Bezeichnung "Bauer" ist im Burggrafenamte immer nur der Besitzer des Hofes gemeint; wird ein anderer Einwohner oder ein Knecht mit diesen Namen angerufen, so antwortet er, bescheiden ablehnend: "ja, wenn i a Baur war, sell war mar schun recht".

Die Burggräfler sind durchwegs ein schöner Menschenschlag; schlanke Gestalten mit strammer, gerader Haltung.

Eine hohe Stirne und ein scharf geschnittenes Profil kennzeichnet sie und die Adlernase verleiht dem Gesichte ein schneidiges Aussehen.

Die Tracht ist ungemein malerisch. Ein spitzer Hut, die Form wurde sogar von den Damen als Modell angenommen, bedeckt den Kopf. Um den Hut sind viele Meter rothe Schnüre gewickelt, so lang der Bursche ledig ist. Sobald er eine Bäuerin ins Haus führt, kommen einige Streifen grüner Schnüre dazu. Die rothen verschwinden, wenn der Storch die erste Einkehr hält.

Ist diese Einrichtung nicht eine sehr praktische meine Damen?

Über einer seinen rothen Tuchweste liegen breite Hosenträger aus grüner Seide, die bis an das Knie reichenden ledernen Hosen werden von einen: reich gestickten ledernen Gurt mit breiter Metallschnalle abgeschlossen. In den schönsten Modellen gestrickte Strümpfe umspannen die Waden, die Knie aber bleiben Sommer und Winter nackt.

Die Joppe wird hier "Hemd" genannt und das Hemd "Pfoat".

Die Joppe ist aus festem, braunen Loden, roth gefüttert und vorne an der Brust mit breiten, rothen Umschlägen versehen. Im Sommer wird die Joppe nur leicht übergeworfen und sieht der Mann in seinen blühendweißen Hemdärmeln ungemein "wiff" aus.

Die Frauen tragen einen in unzählige Falten gelegten Rock aus schwarzem Stoff, oft auch mit rothen Seidenfäden durchwirkt. Darüber eine weite, bei den Mädchen meist hellblaue Schürze; die Frauen wählen dunklere Farben. Ein schwarzes Miederleibchen umspannt den Oberleib und ist der Ausschnitt durch ein buntes Seidentuch gedeckt. Im Sommer gehen sie in Hemdärmel, die bauschig und mit Spitzen besetzt bis an die Ellbogen niederfallen. Im Winter tragen sie eine schwarze oder auch dunkelbraune Tuchtaille darüber. Und diese Trachten finden sich nur im Burggrafenamte, genau bis an die Grenze.

Schon der Menschenschlag ist ein ganz anderer, als der südlich von Meran.

In der ganzen Umgebung von Bozen, dem sogenannten Überetsch, Kaltern, Neumarkt, im Thale [Tale] wie im Mittel- und Hochgebirge haben die Bauern ihre Nationaltracht und mit ihr den Charakter der deutschen Tiroler Bauern längst schon abgelegt.

Vermischungen der Wälschen mit den Deutschen durch Ehen sind dort keine Seltenheit. Im Burggrafenamte ist eine solche Ehe unter den Bauern undenkbar.

Unser Bauer, an ein ungestörtes Wohlleben gewöhnt, fast elegant in seiner Erscheinung, besonders an Sonn- und Feiertagen, sieht auf den Wälschen, der ungemein genügsam ist, fast mit Verachtung herunter.

Wie oft haben es wälsche Bauern versucht, sich in der fruchtbaren Umgebung Merans niederzulassen. Merkwürdiger Weise sind diese Ansiedlungen verschwunden, wie sie gekommen sind.

Meraner Bauernstube, Carl Jordan
Der Burggräfler
Meraner Bauernstube, Carl Jordan

Ungemein behaglich ist die Meraner Bauernstube. Wände und Oberboden sind getäfelt und ober der Eingangsthüre befindet sich zumeist der Name der Eheleute. Die Meraner Bäuerin legt mit der Ehe ihren Namen aber nicht ab; sie nennt sich von nun an z. B. "Anna Brentlerin, verehelichte Weitgruberin".

Rings an den Wänden herum läuft eine Bank und ebenso um den gewaltigen, gemauerten Ofen. Ein kleiner schräger Holzschemmel, allerdings eine harte Kopfunterlage, hier aber überall gebräuchlich, bezeichnet den Platz, auf welchem der Bauer sein Mittagschläfchen hält.

Eine Ecke der Stube ist ganz besonders verziert mit einer Menge von Heiligenbildern, wächsernen "Jesuskindlein" in kleinen Glaskästchen und dem Christusbilde, hinter welchem geweihte Palmzweige stecken und an dessen Händen meistens zwei rothe Maiskolben angebracht sind.

Hier steht der große runde Speisetisch und über demselben hängt ein heiliger Geist in Gestalt der Taube mit gelben Strahlen, der sich, wenn die Dämpfe der gewaltigen Knödelschüssel entsteigen, langsam im Kreise dreht.

Auf den "Stöln" finden sich allerlei nützliche Geräthe [Geräte], das Tabakmesser, den Rolltabak zu schneiden, Drahtstücke, die Pfeifenrohrl auszubrennen, einige Beschauungsbücher, die blaue Flasche mit dem "Goserawôsser", ein Universalheilmittel, "a fezzele a Lörget", frische Wunden zusammenzupicken, eine Speckschwarte, das Spinnrad zu schmieren, wenn es "winselt" u. s. w.

Da der Bauer auf einen gut besetzten Tisch sehr viel hält, ist die Comunication [Kommunikation] mit der Küche durch ein kleines Schubfenster auf die allerbequemste Weise hergestellt.

Die Verköstigung unserer Bauerndienstboten regelt eine althergebrachte Ordnung, die zwar in keinem Protokolle hinterlegt ist, jedoch von den Interessenten selbst in der Tradition sorgfältig aufbewahrt wird.

Neben den vielen kirchlichen Feiertagen, die meistens zugleich "Kuchlfestig" sind, haben unsere Bauern noch eine Menge "gmuane" Feiertage, an denen nicht gearbeitet wird, und man kann im Durchschnitte annehmen, daß unsere Bauerndienstboten ini Jahre 115 Tage " verschnaufn".

Viele Feiertage sind zu einem bestimmten Zweck gegründet. So z. B. der 4. Februar " Flickwerchtig ", an welchem die den Dienst wechselnden Dirnen die Kleider sticken sollen. Dann die Feiertage den ganzen Monat Mai, zum Vertilgen der Maikäfer.

Man möchte meinen, diese Zustände sollten unseren Bauern denn doch zu denken geben. Aber wer hat den Muth [Mut], an den alten Bräuchen ohne Rücksicht zu rütteln. Der Bauer schimpft nicht ungerne über die Steuern. Diese drücken lange nicht so sehr, wie die Erhaltung von Müssiggängern, die fünfzig Werktage im Jahre, trotz der guten Kost, nicht zu arbeiten brauchen.

Bei dem ausgesprochenen Sinn für eine gute Verpflegung unserer Bauern ist es selbstverständlich, daß es auch berühmte Köchinnen gibt, die dann bei Primizen und Hochzeiten, die oft ganze Tage dauern, ihre Kunst zeigen.

Der Charakter der Burggräfler ist sonst ein ungemein ernster und friedfertiger. Selten hört man von Streit und Schlägereien, selten einen lauten Ausbruch der Heiterkeit.

Ist der Bursche kein Sänger, so liebt er aber die Musik ungemein. Fast jedes noch so kleine Dorf im Burggrafenamte hat seine eigene Blechmusik und sind die gar nicht ungeschickten Kapellmeister oft nur einfache Bauernknechte.

Im Verkehr mit Seinesgleichen ist der Bauer einsilbig und liebt es nicht, viele Worte zu machen. Selbst der Bursche, wenn er mit seinem Schatz dahinwandelt, spricht nur das Allernothwendigste.

Im Verkehr mit den Fremden ist er höflich und zuvorkommend; er ertheilt seine Auskünfte kurz und klar.

Das Leben in der Familie ist ungemein patriarchalisch und suchen die erwachsenen Kinder selten Dienststellen, sondern bleiben bei den Eltern und versorgen den Hof.

Der Bauer ist immer die erste Person im Hause. Mit eiserner Strenge hält er an den Satzungen der Religion. In jedem Hause werden laut und gemeinschaftlich die Tischgebete verrichtet und am Abend der Rosenkranz. Die Männer knien dabei meist auf den Bänken bei den Fenstern und die Weiber auf dem Boden, sich auf die Stühle auflehnend.

Der Bauer mahnt wohl auch ab und zu einen säumigen Knecht zur Erfüllung seiner Pflichten und meint: "Gangst epper a mol auslahrn eini, zu die Pater" (beichten, die Sünden ablegen). Ebenso strenge werden die Fasttage gehalten und ganz besonders die Feiertage.

Der Kirche und den Geistlichen zollt der Burggräfler große Verehrung, aber nicht eine so unbedingte Unterwerfung, wie es letztere gerne hätten. In manchen Gemeinde- und Kirchenbau-Angelegenheiten zeigten sich die "Mander" oft so widerhaarig und eigensinnig, daß selbst die immer zur Geistlichkeit haltenden Weiber mit all' ihren kleinen Künsten und Nadelstichen im ehelichen Leben nichts "derrichteten".

Selbst im politischen Leben ist unseren aufgeweckten Bauern nicht mehr alles ein Evangelium, was der Herr Pfarrer sagt und der "Gsellpriester" kolportirt und sind erst bei den letzten Landtagswahlen angesehene und intelligente Bauern in sehr energischer Weise mit ihrer Meinung in die Öffentlichkeit getreten. Die Leute fangen eben an unter der erdrückenden Last der neuen Steuern einzusehen, daß sie sich nicht mehr für die Sonderinteressen der Kirchenpartei opfern können.

Unser Burggräfler Bauer hält viel auf die Erziehung seiner Kinder und sorgt für fleißigen Schulbesuch derselben und sieht es nicht ungerne, wenn einer der Jungen zur "Studi" in die Stadt geht. Der Mutter ihr Ideal ist dann meist ein geistlicher Herr, dem Bauern aber ist ein tüchtiger Doktor ebenso lieb.

Ich habe in diesem Buche den Versuch gemacht, den verehrten Lesern einige Typen aus dem Burggrafenamte vorzustellen und hoffe, daß ihnen dieselben bei allen ihren Eigenthümlichkeiten, und vielleicht gerade darum, gefallen werden.

Quelle: Der Burggräfler, Bilder aus dem Volksleben, Karl Wolf, Innsbruck 1890, S. 1ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Leni Wallner, Januar 2006.
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