Bei den Karrnern.
Schon lange wollte ich einmal den Karrnern auf der "Etschgranz" einen Besuch abstatten. Ich kenne zwar diese zigeunerartige Gilde schon aus meinen vieljährigen Beobachtungen, wollte mich aber mit frischen Eindrücken an meinen Schreibtisch setzen und den werthen Leserinnen und Lesern etwas von den Karrnern erzählen.
Mit den Karrnern hatte ich es gut getroffen. Es war eine ganze Colonie auf der "Granz" angelangt. Sechs Wagen standen der Reihe nach aufgefahren. Der Karren ist die Heimath, das Haus dieses Volkes. Der Kasten ruht auf zwei hohen Rädern und hat als Deichsel eine sogenannte Gabel. In die Gabel spannt sich der Mann ein, und links und rechts legen sich die Weiber "ins Geschirr" im vollsten Sinne des Wortes. Die Bespannung, wenn man beim Menschen so sagen darf, besteht aus zwei Achselgurten, die in einen Ring eingenäht sind, von welchem aus der Zugstrick bis an den Karren läuft. Mit dem ganzen Oberleib legen sich diese armen Geschöpfe in die Zugstränge, um den schwerbeladenen Wagen zu ziehen, und Liebesworte sind es auch nicht immer, mit denen sie vom Manne angetrieben werden. Originell ist die Sperrvorrichtung. Ein gebogenes Birkenstämmchen ragt hinter dem Wagenkasten hervor, und fällt die Straße, läßt der Karrenzieher das Ende am Boden schleifen. Ist das Gefälle aber sehr groß, so stellt sich, um die Bremse wirksamer zu machen, wohl auch eines der Kinder hinten auf. Kinder und Hunde umschwärmen immer den Wagen, die Kinder bettelnd, die Hunde bellend. Und auch unter der Blache auf dem Karren selbst gucken meistens die Blondköpfe heraus, das Gesicht mit einer Kruste von Spuren der letzten Mahlzeit überzogen. Mit einer Hand halten sie sich am Blachenreifen fest, mit der andern sind sie auf der Bürsch nach jenen jagdbaren Thierchen, für die keine gesetzliche Schonzeit vorgeschrieben ist. Aus einem alten Hut ist an der Außenseite eine Art Wandkorb angebracht, in welchem sich die Werkzeuge für allfällige Unfälle auf der Reise befinden. Alle alten Nägel, gebrochene Hufeisen, die sich auf der Landstraße etwa finden, werden da hineingeworfen.
Im Herbste sammeln die Kinder eifrigst Pfirsichsteine. Die Mutter brennt die Kerne und mengt sie unter den Kaffee.
Vorne auf der Gabel, noch von der Blache überdeckt, ist ein ovaler Korb mit der jüngsten Prinzessin angebracht, die gar vergnügt in die Welt guckt. Und warum sollte sie es nicht? Hat ihr die Mutter doch einen ganz herrlichen "Zuzel" aus einem Leinwandläppchen mit gekautem Brod gereicht. Und Abends, wenn sie lange nicht einschlafen will, kommt noch ein Löffel voll Branntwein darauf. Ist das nicht prächtig? Wenn nur der älteste Bruder nicht wäre. Der Schlingel stiehlt ihr oft den Zuzel fort und saugt den schönen Branntwein selbst heraus. Zwar in neuester Zeit kann sie sich nicht mehr beschweren, seitdem er das Tabakkauen angefangen hat. Es war aber auch die höchste Zeit, er ist schon seine acht Jahre alt.
Die Karrner in Tirol sind ein eigener Menschenschlag, in ihrem Wandertrieb nicht unähnlich den Zigeunern. Vintschgau und das Innthal stellen das Hauptkontingent. Wenn sie auch von Zeit zu Zeit in die Heimatgemeinde zurückkehren, treibt sie unsagbare Wanderlust, wohl auch die bittere Noth [Not] wieder hinaus auf die Landstraße, die eigentlich ihre Heimat ist, in der sie sich wohl fühlen.
Meistens treiben sie Handel mit allem Möglichen und Unmöglichen. Im Herbste sind es Früchte, die sie weit hinauf ins Nordtirol und nach Baiern verführen. Im Spätherbst besuchen sie die Märkte im Innthal als Kastanienbrater, dann sind sie wieder Korbflechter, Hadern-und Geschirrhändler, Hundezüchter, Haftlbeißer und endlich Händler mit Schleifsteinen.
Auch einen neuen Exportartikel hat ein Karrner erfunden. Zu den wertlosesten Abfällen zählen in den Restaurationen die Selterwasserkrüge. Da kaufte sich vor einiger Zeit ein Karrner einen ganzen Wagen voll solcher Krüge um wenige Kreuzer und exportirte selbe nach Pusterthal u.s.w. als — Wärmeflaschen für die Betten. Holz und Wasser findet sich in der ärmsten Hütte der rauhen Seitenthäler. Und so füllt sich die Magd, heimlicher Weise auch der Knecht, einige solcher Krüge mit heißem Wasser, um in der luftigen Kammer, in welche bei starkem Winde wohl auch der Schnee hereinweht, das Bett zu wärmen.
Ihr Familienleben — was sage ich, ihr Familienleben? das kennt der Karrner im eigentlichen Sinne des Wortes nicht. Sie sind Mann und Weib, haben Kinder, Hunde, einen Karren und einige blecherne Kessel, um von den Kapuzinern und den Hotelküchen die erbettelten Speisen zusammenzutragen, das ist alles. Die Kassa führt immer das Weib, die Kassaschlüssel der Mann, Letztere sind die Prügel, die er seiner besseren Hälfte verabreicht, wenn sie kein Geld herausgeben will.
So nachlässig und schmutzig gekleidet sie auch sonst herumsteigen, so haben sie doch ihre Zeiten, wo sie sich nicht ungerne "zusammenwixen". Der Mann trägt ein kleines, rundes Hütchen mit Goldquasten, die reichgeölten Haare fest an die Stirne seines, meist blatternarbigen Gesichtes geklebt.
Ein buntes seidenes Halstuch, durch einen messingenen Ring gezogen, um den Hals, die viel zu kurze, an den Taschen glänzend schmierige Weste offen und ein Hemd mit möglichst vielen Brustfältchen. Die Hosen werden durch eine rothe Binde oder durch einen Riemen festgehalten und reichen kaum bis an die Knöchel. Die höchste Eleganz ist, wenn selbe unten mit Leder besetzt sind. Feste, mit Wagenschmiere gesalbte Bindschuhe bekleiden die Füße. Der gehäkelte Tabakbeutel mit rothem Futter ist unter den Hosenriemen gesteckt und eine bemalte Wassersackpfeife hängt zwischen den schwarzen Zähnen, wenn er nicht gerade Tabak kaut. Das Haar des Weibes glänzt auch wie ein gewichster Stiefel; rothe Korallen in mehreren Schnüren umspannen den Hals, das Kleid ist aus bedrucktem Kattun und reicht mit der hellen Schürze bis halb an die Waden. Weiße Strümpfe und derbe Schuhe vollenden den Anzug. Unter der Schürze trägt sie die ausgenähte Geldtasche, ähnlich der der Kellnerinnen.
Der liebste Schmuck des Mannes ist eine Uhrkette aus Silbermünzen. Das Weib trägt hingegen gerne mehrere Ringe, entweder aus Silber oder "Hennengold". Bei den Kindern kennt man keinen Sonntagsstaat.
So aufgeputzt, der Mann den Hut keck auf die Seite gerückt, die qualmende Pfeife im Munde und einen kleinen goldenen Stern oder einen Ring im Ohr, das Weib oder das Mädchen weit austretend und die Röcke schwingend, stolziren sie in die Stadt.
An Werktagen haben die Weiber und Mädchen immer ein buntes Tuch, dreieckig zusammengelegt, um den Kopf gebunden und ist der Knoten meistens so arrangirt, daß er den Mund deckt.
In jeder Stadt, ja in jedem Dorfe haben sie ihr Wirthshaus oder den "Buschen", in welchem sie am liebsten verkehren. Ja sogar für ihre Wägen haben sie die bestimmten Lagerplätze, die sie immer wieder aufsuchen. Diese Plätze werden von allen anderen fahrenden Leuten, die auch Freilager beziehen, respektirt [respektiert].
Nun ist die ganze Kolonne glücklich auf der "Passergranz" angelangt. Die alten Lagerplätze sind noch genau ersichtlich an den angebrannten Steinen und Holzresten und sonstigen Abfällen.
Dort jener große Block, auf den drei weiße Kalksteine hingelegt sind und eine Reihe solcher nebeneinander nach Süden zeigend, geben den heute angekommenen Karrnern das Zeichen, daß eine ihnen aus diesem Signale genau erkennbare Familie vor nicht langer Zeit hier gelagert hat und gegen Bozen abgezogen ist. Lange können sie noch nicht fort sein. Die letzten Regentage waren Ende vergangener Woche, und die Asche auf den verlassenen Feuerstellen ist noch frisch und trocken.
Bei den Karrnern, Carl Jordan
Die Karren werden nun nahe an die Uferschutzmauer gerückt und vorne mit einem Knüppel aufgestützt, daß sie nicht überschnappen, wenn die Kinder im Wagen "ranggeln". Der freie Raum unter dem Wagen wird nun auch mit alten Tüchern verhangen und so eine Art Zelt hergestellt.
Die Weiber ziehen die Federbetten aus dem Karren hervor und breiten sie in der Sonne auf den Steinen des Bachbettes aus. Nicht etwa, wie viele meinen, um die Betten zu lüften, sondern die im Karren von den Kindern zusammengestampften Bettfedern in der Sonnenwärme wieder aufquellen zu lassen. Die Buben haben sich ein altes Küchenbeil, das sie irgendwo einmal zurückzugeben vergaßen, hervorgeholt und machen eine Exkursion auf die umliegenden Wiesen und Felder, um Brennholz zu sammeln. Nur einer, der älteste Bube, ist in die Stadt gelaufen und durchwandert die Straßen, den Blick zu Boden gesenkt, wie ein indianischer Pfadsucher. Er macht Jagd auf Zigarrenstummeln, denn in seinem Tabakbeutel ist Ebbe.
Die Männer bringen indessen einige, vielleicht schon im vergangenen Jahre angefangene Körbe und etliche Bund Flechtweiden zum Vorschein, um dem Lager den Anschein zu geben, als würde die Korbflechterei ganz ernstlich betrieben. Nun ja; die Gensdarmerie hat oft so sonderbare und neugierige Fragen zu stellen. —
Bald brennt ein tüchtiges Feuer und der Kaffeehafen wird "zugesetzt". Mocca ist es nicht, was sie da brauen. Vom gewöhnlichsten Kaffee ein kleiner Zusatz, dann einige tüchtige Stücke "Zigoripackl". Unter den Kaffee wird nicht selten geröstetes pulverisirtes Korn, Pfirsichkerne, Erdmandeln oder auch Erbsen gemengt. Für einen "Strohriedel" wurde ein Kessel Milch vom nächsten Bauern eingetauscht und bald trinkt die ganze Familie vergnügt ihren Kaffee. Der Eine hat ein Trinkglas, die Frau eine Tasse, ein Dritter ein Weinkrügl und der älteste Bursche, der nicht zu kurz kommen will, heißen Kaffee aber nicht hineinbringen kann, hat den Deckel des Milchkessels genommen, weil sich in dem flachen Gefäße das Getränke rasch kühlt.
Inzwischen hat es bei den Kapuzinern dreiviertel Elf "geklenkt" und es ist Zeit, für das Diner zu sorgen.
Die Kessel werden hervorgeholt und Weiber wie Kinder wandern in die Stadt. Es ist da wieder von großem Vortheil, nicht zu spät zu kommen, denn der Bruder Koch bei den Kapuzinern hat die unangenehme Eigenschaft, aus der Suppe zuerst die "Friegl und Brockn" herauszufischen. Die später Kommenden "kriagn lei 's Gschlamper".
In den verschiedenen Pensionen und Hotels stellen sie sich an die Küchenthüre und schnuppern mit lüsterner Nase in der Küche herum.
Zur Winterszeit dient dieser Aufenthalt zugleich als Wärmstube. Unwillige Worte sind nicht im Stande, diese Gäste zu verscheuchen, daran sind sie ja gewöhnt, "Zudringlich wie die Wanzen sinds", meint die alte Köchin der Pension.
Beim "Melbler" werden auch einige kleine Einkäufe gemacht, z. B. etwas Schweinfette, ein Fläschchen Essig, ein Stück Speck oder dergleichen. Salz kaufen sie seltener. Für diesen Artikel haben sie eine eigene Bezugsquelle. Es ist in Südtirol üblich, wenn Jemand stirbt, an die Armen, die zum "Rechtbrett" beten kommen, Salz zu vertheilen [verteilen]. Da wandern nun die Mitglieder der Familie einzeln in das betreffende Haus, stehen ein kleines Viertelstündchen mit scheinheiligem Gesichte vor dem Paradebett und nehmen mit unzähligen "Vergelts Gott in Himmel ein, viel tausedmol" die Salzspende in Empfang. Diese wird einfach ins Schnupftuch eingebunden.
Von allen Seiten rücken nun Weiber und Kinder mit den "Kösselen" ins Lager ein. Da wird nun das Erhaltene sortirt und ein Plan entworfen, wie man's "richtn" könnte. Meistens lautet die Speisekarte: "Kotzngschroa". Fleisch- und alle andern Stücke werden in einer Pfanne geröstet, etwas mit Mehl überstaubt und Essig dazu gegeben.
Die Zuspeise ist im Sommer oft "Specksalat". Salat — nun Salat findet sich ja überall, das heißt die Karrnerbubn wissen ihn überall zu finden. Die Weiber reinigen dann das Geschirr im Bache, nehmen wohl auch einige kleine Reparaturen vor, die Kinder wühlen im Sande herum und die Männer legen sich auf den Rücken in die Sonne, decken den Hut übers Gesicht und lassen den lieben Gott einen guten Herrn sein.
Ich aber setze mich zu einem alten Manne, der mit einer primitiven Zange, aber mit einer staunenswerthen Fertigkeit eine feine messingene Kette, "a Oachkatzl-Köttl",wie er es nannte, anfertigte. Er nahm eine Zigarre von mir dankbarst an, biß ein tüchtiges Stück herunter, schob den Rest in seine Westentasche und begann hierauf zu erzählen.
"Af der Hoad uhne Wind,
Af Stilfs uhne Kind,
Af Mols uhne Spott,
Der ist begnôdet von Gott".
"I bin sist a Stilfser, wir sein unsere zwölf Gschwistert gwesn, 's Letzte hat müssen a Madl sein, der Vater hat nit load gfluacht, sunst hätt die Muater a Pension kriagt vom Kaiser.
"Mei, so sein mir holt a im Lond herumzogn mitn Karren, bei Wind und Regn, Sommer und Winter, bei Hitz und Költ. I bin just a zwoa Jahrlen im Bairischen gwesn mit an Gschirrhandler, und wia i wieder hoamkemmen bin, hobens mi auf Gricht kemmen lossn. Do hob i müaßen nochspieln zu die Kaiserjager. I hätts schon solln voarn Johr thuan, ober sie hobm mi nit gfunden, vielleicht a gar nix gwüßt von miar, denn geboren bi i eigentli unter der Latscher Brugg. Getauft werd i schon lei amol wordn sein; zur Firmung bin i aber dreimöl kemmen. Onmol in Meran, da hob i an neus Gwand kriagt, wier habns um vier Gulden sechzig Kreuzer verkaft. Onmol in Brixn, zelm hat lei a Mittag außergschaut und onmol af Kopfstuan (Kufstein), zelm war der schmutzigste "Göd", der hot miar lei fünf Zepf [Zehnkreuzerstück] gebn.
"Der Richter hat freili gwaltig gschriern, aber wos hot er machn wollen! Lesn und schreibm hob i nit glearnt und in a Schuel bin i a nit kemmen. Doch, daß i nit lüeg; onmol hot mi der Pforrer zwoa oder drei Wochen daheimbhaltn und hat miar 's Notwendigste beibracht für die Beicht und Kommunion. Mei, i hab olles schon wieder long vergessn.
"Und will i ausdient hôb bei die Jäger, bin i hôlt hoam und hôb mi aufs Neu wieder in Karrn eingspônnt. Mei Vormônn bei die Jäger, der hoam hôt konnen, weil i's beim Nachspieln verspielt hôb, hat miar fünfundzwanzig Guldn gschenkt, wia i hoamkemmen bin. Mit den Geld hôb i mi mit der Annamaria z'fammthun, dö hôt an schian blaugstrichnen Karrn vom Vôter geerbt gh"Und will i ausdient hôb bei die Jäger, bin i hôlt hoam und hôb mi aufs Neu wieder in Karrn eingspônnt. Mei Vormônn bei die Jäger, der hoam hôt konnen, weil i's beim Nachspieln verspielt hôb, hat miar fünfundzwanzig Guldn gschenkt, wia i hoamkemmen bin. Mit den Geld hôb i mi mit der Annamaria z'fammthun, dö hôt an schian blaugstrichnen Karrn vom Vôter geerbt und an schwôrzn Pudl. Den Pudl hôbn miar in Obermais um fufzehn Guldn verkaft und mit unsere vierzig Guldn an Gschirrhôndel angfôngen. 's ist uns nit schlecht gôngen, nur hôt sie mei Ôlte durchaus in Kopf gsetzt, miar solltn heirathn. Die Gmuan hôt uns die Bewilligung nit gebm und miar wars wirkli Wurst gwesn, aber der Gmoan zu Trutz hôbm miar in Karrn eingstellt und sein nach Rom gwôndert ins Pilgerhaus und dort sein miar getraut wordn.
"O, nach Rom sein früher viele Leut afs Heirathn gwôndert. Und wia miar hoamkemmen sein, hobns uns eingsperrt zur Strôf, daß miar uns hôbm trauen lossn, die narrischn Leut. Uns ists gleich gwesn, miar hôbm uns tüchtig ausgrôstet von der weitn Roas. Und nacher hôbm miar hôlt wieder angfôngn zu "grattlen" Land aus und Land ein. Und heut ist mein Aeltester a schon verheirathet; der grüane Karrn, der dritte do untn mit die zwoa Krummpschnoblsteign, gheart sein.
"Ja, ja, 's ölte Grôttner Michele hôt ôlm gsungn:
"In Winter weards kôlt,
Und die Leut wearn ôlt.
Und die Glieder wearn steif,
Afn Kopf fôllt der Reif.
Und 's Herz gspürt kuan Liab,
Die Augn wearn triab,
In die Oarn thuats summen,
Der Kopf thuat uan brummen,
Die Zähn folln enk aus
Der Summer ist draus,
Im Winter weards kôlt
Und die Leut wearn ôlt".
Inzwischen war es Abend geworden. Wir sitzen alle vergnügt um ein helles Feuer herum, der Brannt-weinflasche, die ich von Martina, bringen ließ, wird tüchtig zugesprochen.
Die Damen, zum Theil aus den Pfeifen der Männer schmauchend, entwickeln bei der Flasche auch ganz annehmbare Züge und geben sich die größte Mühe, so emanzipirt als nur irgend möglich auszusehen, was in diesen Kreisen genau denselben Eindruck hervorbringt, wie im Salon.
Ein Bursche erzählt unter dem schallenden Gelächter der Anwesenden, wie er und seine Genossen vor einigen Jahren bei einem hiesigen Kaufmanne einen ordinären, verdorbenen Kaffee eingekauft und mit Waschblau schön gefärbt habe, um ihn, mit wirklich reißendem Absatz in den besten Bürgerhäusern als geschwärzten Schweizer Ceylon zu verkaufen.
Ein Zweiter lobte seinen Hund, der recht einträglich sei, weil er ihn fast schon in jedem Dorf in Südtirol verkauft habe, "ober er kimbt olm wieder, gelt Fuaßl". Die Kinder verkriechen sich alle nach einander in die Karren, die Hunde, werden sie nicht mit hineingenommen, lagern sich in die warme Asche der Feuerstellen. Die Weiber machen unter den Karren die Betten zurecht und beschweren die Decken am äußeren Ende mit Steinen, um die kalte Luft möglichst abzuhalten.
Im Lager wird es immer stiller, nur im letzten Karren zanken sich noch ein Mann und ein Weib. Richtig, er prügelt sie noch zum Abendsegen tüchtig durch, wahrscheinlich verlangt der Mann den Kassaschlüssel. —
Im ersten Wagen, knapp neben dem Rade hebt sich nun das Tuch ein wenig in die Höhe und eine Gestalt kriecht heraus, sich vorsichtig nach allen Seiten umsehend. Die Luft ist rein, man hört nur da oder dort das Schnarchen eines Schläfers. Ein leiser Pfiff ertönt, gerade so, wie ihn die Nachtigall flötet, ehe sie mit ihrem Liede voll beginnt. Es muß ein Signal gewesen sein, denn auch an einem andern Karren regt es sich und auch dort kommt eine Gestalt zum Vorschein. Ohne ein Wort zu wechseln, verlieren sich die zwei bald im Dunkeln.
Sie schlagen einen Feldweg ein, gelangen an einen Garten und ducken sich fest an den Zaun. Da hebt der Eine vorsichtig seinen Kopf und wirft ein Reis knapp an das Haus und brummt irgend unverständliche Worte in den Bart. Alles bleibt stille.
"Der Hund ist im Haus drin, gut geht's Mandl", flüstert er befriedigt seinem Kameraden zu. Dann drücken sie sich zusammen und einer schlägt vorsichtig Feuer und zündet sich eine Zigarre an dem brennenden Schwamm. Dies ist eine Lampe, die Licht genug spendet, um das schöne Obst an den niederen Spalierbäumen finden zu können.
Wie eine Katze so gewandt, klettert er nun über den Zaun und kriecht von einer Spalierreihe in die andere. Die Prachtexemplare von Birnen, die edlen Calville sind seine Beute und der Kamerad nimmt sie vorsichtig in Empfang. Mit aller Sorgfalt werden dann die edlen Früchte im Wagen geborgen und um theures Geld an den Früchtenhändler verkauft.
Auf dem Heimwege machen die zwei Gesellen vielleicht auch noch da und dort Halt. In einem Garten hängt einige Wäsche. Weiße Wäsche nimmt der Karrner nicht ungerne. Am gemusterten Zeug hat er weniger Freude, man kommt zu leicht auf damit. Plötzlich ducken sich die zwei hinter eine Mauer im tiefen Schatten. Der Ortspolizeidiener kommt daher, um daheim von seinem schweren Tagwerk des Kartenspieles in den verschiedenen Büschen auszuruhen. Das Auge des Gesetzes hat keine Ahnung, wie nahe ihm das Verbrechen war.
Will dann der Karrner am andern Tage fast gar nicht erwachen, so schilt die Mutter die Kinder: "'s Maul hôltet's, Frôtzn, daß der Vôter schlôfn kônn, er ist einkafen gwest heut Nacht."
Quelle: Der Burggräfler, Bilder aus dem Volksleben, Karl Wolf, Innsbruck 1890, S. 69ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Leni Wallner, Januar 2006.
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