DIE MAGD DES KAIPHAS
Einmal verlobten sich zwei fromme Dirnen nach Weißenstein, um dort für jene Person zu beten, an welche - niemand sonst im Gebete denkt. So traten sie denn in der glühenden Sommerhitze den beschwerlichen Weg an und schwitzten den Berg hinan und beteten den einen Rosenkranz nach dem andern.
Sie gelangten glücklich zum Wallfahrtsort hinauf; als sie aber in
die Kirche hineingehen wollten, vertrat ihnen vor der Kirchtür ein
meeraltes Weiblein den Weg und sagte zu ihnen: "Ich danke euch von
ganzem Herzen für das viele Gebet, das ihr für meine arme Seele
verrichtet habt. Ich bin bis jetzt im Fegfeuer gewesen, nun aber bin ich
durch euch erlöst worden. Ihr sollt aber auch wissen, für wen
ihr gebetet habt: ich bin die Magd des Kaiphas und habe, als Christus
der Herr für uns litt, aus Menschenfurcht den Herrn verleugnet."
Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 470