Die Mühle zu Pontives.

Zwischen St. Peter und St. UIrich in Gröden liegt der Wald Pontives. Der ist voll von Hexen. In gewissen Nächten tanzen und singen die dort so wunderschön, dass man der lockenden, schmeichelnden und bezaubernden Musik kaum widerstehen kann. Wer aber den Klängen nachgeht, der ist verloren. Die Hexen fallen über ihn her und zausen und beuteln den armen Menschen, prügeln und stoßen ihn, bis er den letzten Schnaufer macht.

Unten am Bach neben der Straße steht eine Mühle, uralt und wegen des Spukes, der dort haust, meilenweit verrufen. Kein Mensch wagt sich in ihre Nähe, sobald einmal die Dunkelheit hereingebrochen ist.

Es ist aber halt doch schon einige Male geschehen, dass der eine oder andere Mahlbauer beim Betläuten noch nicht aus dem Bereiche der Mühle war. Der hat dann gar seltsame Dinge zu sehen bekommen.

Auf dem Wagen eines Bauern aus St. Peter, der sich auch verspätet hatte, saß plötzlich die unheimliche Gestalt des Spukmüllers und blieb dort sitzen, bis der Wagen in die Nähe des Brauhauses gekommen war. Dort war das Gespenst auf einmal verschwunden.

Ein anderer Bauer hörte auf einmal neben dem Weg ein kleines Kind schreien, und als er absprang, um dem armen Würmlein zu helfen, fand er nichts; aber die Pferde stiegen auf einmal wild in die Höhe und rasten mit dem Wagen davon. Ein Glück, dass weiter nichts geschehen ist und dass ein baumstarker Knecht das Fuhrwerk weiter draußen zum Stehen brachte.

Wieder ein anderer sah plötzlich Tausende von Irrlichtern um seinen Wagen tanzen, dass ihm angst und bange wurde.

Oder es konnten die stärksten Rosse oft nur den leeren Wagen, und den nur mit der allergrößten Anstrengung, von der Stelle bringen, wenn der Fuhrmann vor dem Abendsegen noch bei der Mühle gestanden war.

Doch die sonderbarste Geschichte ereignete sich einmal in der Christnacht. Das war ja alter Brauch, dass man die Weiber und Kinder nicht zur Mettenwache in dem unheimlichen Hause zurückließ. So hielt auch damals ein schneidiger Bursche - so um die 20 herum - in der Christnacht die Wache, alle anderen Hausbewohner waren nach St. Ulrich in die Kirche gezogen.

Es war eine schöne Winternacht. Einsame Ruhe lag über Wald und Flur. Doch immer nur beim Fenster hinauszuschauen und zu sehen, wie der Mond über die Schneehalden glänzt, wie die Wolken am Himmel treiben und die Sterne flimmern, oder die Stube auf und ab zu gehen oder den Docht zu putzen, das passt einem Mühlknappen nicht die Länge. Und schlafen wollte er auch nicht - das wäre ein feiner Wächter, der in der Mettennacht schläft. Langsam, langsam rückten die Zeiger an der alten Wanduhr weiter. Es fing ihm an, langwellig zu werden. Schließlich nahm er ein altes Büchlein vom Gesims, nur um sich die Zeit zu vertreiben, denn sonst war das Lesen seine Sache nicht.

Was da drinnen für sonderbares Zeug geschrieben stand - so seltsame Worte - sind das am Ende nicht gar Zaubersprüche? Er las und las. Plötzlich schlug mit lautem Krachen die Türe auf und ein Rudel von Schweinen sprang in die Stube. Wie die heulten und grunzten! Vor Schrecken ist dem Müllerburschen die Lust weiterzulesen vergangen. Er starrt auf die Schweine und weiß sich nicht zu raten und zu helfen.

In der Kirche zu St. Ulrich muss der Müller beständig an den Burschen denken, der zu Hause geblieben ist. Er wird den Gedanken nicht los, dass daheim in der Mühle unheimliche Dinge geschehen könnten. So steht er in seiner Unrast auf und verlässt das Gotteshaus, bevor noch das Engelamt ausgesungen ist. Er läuft mehr, als er geht, und ist bald daheim. Ein einziger Blick sagt ihm alles, was da vorgefallen ist, und er ruft dem kreidebleichen Jörgl zu:

"Lies, Bub; lies alles, was du gelesen hast! Lies Wort für Wort zurück."

Der Mühlknapp tut's und bald verziehen sich die ungebetenen Gäste aus der Stube in das Vorhaus und aus dem Vorhaus ins Freie. Bald ist es wieder still, unheimlich still in der Mühle zu Pontives.

So wird erzählt, so ist es gewesen. Denn seit auf der Grödnerstraße die vielen Ein- und Zweispänner, die Gesellschaftswagen und Postkutschen ein- und ausfahren, seit die zahllosen Bergsteiger bei Tag und bei Nacht die Straße entlang ziehen, singen und lachen, juchzen und schreien, da ist es den Hexen im Pontiveser Wald ungemütlich geworden.

Sie sind samt und sonders verschwunden, und wenn du einmal einer zufällig begegnest, so kannst du von Glück reden --- so selten sind sie zu treffen.

Quelle: Laurins Rosengarten, Sagen aus den Dolomiten, Franz S. Weber, Bozen 1914, S. 118-121.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Bernd Wagener, März 2005.