DER RIESE TITSCH VON DEUTSCHNOFEN

Der Kaiser in Wien hatte einmal einen Hofriesen, der so groß und stark war, daß er meinte, auf der ganzen Welt gebe es keinen zweiten, der auch so stark und groß wäre. Und so ließ er bekannt machen: Wer seinen Hofriesen im Zweikampfe überwindet, dem wolle er seine eigene Tochter zur Frau geben - wer aber vom Hofriesen besiegt werde, dem ergehe es schlimm.

So hatte der Kaiser ausrufen lassen, und wirklich hatte es schon der eine und andere versucht, den gewaltigen Hofriesen zu besiegen und so der Schwiegersohn des Kaisers zu werden. Aber allemal ohne Erfolg.

Dazumal lebte zu Deutschnofen einer, Titsch mit Namen. Der hörte von dem Aufruf des Kaisers und beschloß, nach Wien zu gehen und diesen so fürchterlichen Hofriesen einmal aus der Nähe anzusehen.

Als der Titsch nach Wien kam und sich beim Kaiser vorstellte, ließ dieser sogleich den Hofriesen rufen. Dieser grinste zum Kaiser hin: "Der hat wohl ein großes Maul, aber ich will es ihm schon stopfen!" Der Titsch geht freundlich auf den Hofriesen zu und reicht ihm zur Begrüßung die Hand. Doch da schreit der Riese schon auf: "Laß mich los, laß mich los!" und beginnt sich zu winden vor Schmerz; denn der freundliche Händedruck des Titsch hatte ihm schier die Knochen zerbrochen!

Auf das hin verspürte der Hofriese nun kein bißchen Lust mehr, mit dem Titsch zu ringen, sondern gab sich kampflos geschlagen. Nun mußte ihm der Kaiser, wie versprochen, seine Tochter zur Frau geben, doch der Titsch winkte ab und sagte, er habe schon eine Frau daheim zu Deutschnofen, und so entließ ihn der Kaiser mit einem überaus reichen Geldgeschenk wieder in die Heimat.

Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 341 f.