VOM SEBASTIANSKIRCHLEIN
Ober dem Dorfe Tiers, eine halbe Stunde entfernt, steht ein Kirchlein,
das dem hl. Sebastian geweiht ist. Von dessen Entstehung erzählt
man folgendes:
Als in Tiers einst der Schwarze Tod wütete, gelobte der Totengräber,
daß er, sobald die Pest vorbei sein werde, zu Ehren des Pestheiligen
Sebastian eine Kapelle bauen werde. Die Pest hörte glücklich
auf und verschonte den Totengräber, und dieser beschloß nun,
sein Gelöbnis auszuführen. Wo aber das Kirchlein erbauen? Da
spannte er zwei "ungelernte" schwarze Ochsen an einen kleinen
Wagen, legte den letzten Pesttoten darauf und ließ sodann das Gespann
ohne Leitung gehen, wohin es wollte. Wo die Ochsen stehen bleiben würden,
dort sollte die Kapelle erstehen. Die Ochsen zogen an und gingen langsam
ihres Weges und blieben erst ein gutes Stück oberhalb des Dorfes
stehen. Man versuchte sie weiterzutreiben, aber sie standen fest an der
Stelle. Nun lud der Totengräber die Truhe mit der Pestleiche ab,
grub diese dort an Ort und Stelle ein und baute dabei die Kapelle, die
heute noch steht. (Tiers.)
Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 332 f.