33. [Der Zwergenstein]

Ein armer Bauer befand sich einst am Untersberge1) um Holz zu fällen. Plötzlich erblickte er neben sich ein eisgraues Männchen, welches ihn fragte, wie er heiße. Der Bauer nannte ihm seinen Namen und arbeitete ruhig weiter. Kaum aber hatte das Männchen denselben gehört, so beschrieb es mit seinem Stabchen allerlei Zeichen in der Luft und that drei Pfiffe. Auf dieses Zeichen erschienen plötzlich hunderte von Zwergen, welche alle neugierig den Bauer betrachteten. Diesem aber ward unheimlich zu Muthe. Das Männchen fragte ihn, ob er den Zwergen einen Dienst erweisen wolle, und als er es bejahte, so befahl es ihm mit ihnen zu gehen. Eine geraume Zeit giengen sie fort, bis sie an einen Felsen kamen. Einer der Zwerge that nun drei Schläge an denselben, er öffnete sich und ein langer Gang wurde sichtbar. Sie schritten vorwärts, bis sie an eine eiserne Thür kamen, die von selbst aufgieng und welche in einen Sal führte, der von tausend Kerzen erleuchtet war. Die Wände bestunden aus Marmor und der Boden war mit Silberplatten belegt. In der Mitte des Sales stund ein Tron aus Gold verfertigt und mit den kostbarsten Edelsteinen verziert. Auf diesem saß der König der Zwerge, umgeben von zwölf Zwergen, welche eigentümlich geformte Waffen trugen. Als der Bauer hier ankam, traute er sich nicht weiter, bis ihm der König ein Zeichen gab. Nun schritt er vorwärts bis zum Trone, blieb hier stehen und erwartete was mit ihm geschehen würde. Der König fragte ihn nun, ob er bereit sei, den berühmten Zwergenstein zu holen; dieser Stein habe nämlich die Eigenschaft, daß alle Zwerge, welche ihn besäßen, in Menschen verwandelt würden. Er sagte ihm auch wo dieser Stein vergraben sei, rieth ihm aber, ihn so behutsam als möglich aus der Erde zu holen, da ein Riese ihn bewache. Überdieß müsse er in drei Tagen zurück sein und dürfe wahrend dieser Zeit kein Wort reden. Gelänge es ihm, alle diese Bedingungen zu erfüllen , so würde er der reichste Mann der ganzen Welt weiden. Der Bauer versprach alles zu thun [tun], und machte sich auf den Weg. Er kam bald an die bezeichnete Stelle und fieng die Ausgrabung an. Er hatte schon eine tiefe Grube gemacht, als plötzlich aus derselben drei Zwerge herausstiegen und ihn fragten, was er hier mache. Er wollte ihnen schon antworten, da erinnerte er sich, daß er nicht sprechen dürfe. Die Zwerge fragten und neckten immerfort, bis endlich der Bauer zornig wurde und alle niederschlug. So stellten sich ihm eine Menge Schwierigkeiten entgegen, die er aber glücklich überwand. Dann gieng er mit dem Steine zu den Zwergen zurück. Diese riefen ihm schon von ferne zu ob er den Stein mitbringe. Ja, rief er laut, ohne an das Verbot zu denken. Kaum hatte er das Wort ausgesprochen, so krachte ein furchtbarer Donnerschlag, der Zwergenstein entfiel seiner Hand und fiel bis in die Mitte des Untersberges, wo er stecken blieb und heutiges Tages noch stecken soll. Als nach einiger Zeit Leute den Berg bestiegen, fanden sie den Bauern als Leiche.

1) Was mir hier von Landleuten über die Untersberger Zwerge erzählt ist, habe ich in den zu Salzburg und Brixen gedruckten Volksbüchlein nicht gefunden. Einige Züge machen es mittheilenswert [mitteilenswert].

Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 210ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.