KAISER KARLS RABEN

In den Tiefen des Salzburger Untersberges schläft Kaiser Karl der Große. Von Zeit zu Zeit erwacht er und mit ihm sein Gefolge. Dann eilt ein Edelknabe zum Geiereck, um zu sehen, ob die Raben noch um den Berg fliegen. Sobald es der Fall ist, und der Edelknabe davon Kunde bringt, neigt der Kaiser mit einem leisen Wehruf sein Haupt und versinkt samt seinem Gefolge wieder in Schlaf.

Rabe © Maria Rehm

Rabe
© Künstlerin Maria Rehm
© Viktoria Egg-Rehm, Anita Mair-Rehm, für SAGEN.at freundlicherweise exklusiv zur Verfügung gestellt.

Wenn vierundzwanzig Raben, nicht mehr und nicht weniger, um den Berg kreisen, erwacht Kaiser Karl gleichfalls. Aber es ist dann für ihn noch immer nicht die Zeit gekommen, den Berg zu verlassen, sondern er muß noch so lange auf seine Erlösung warten, bis der Zwergenstein gefunden ist, der die Kraft hat, alle Zwerge des Untersberges in irdische Menschen zu verwandeln. Erst dann kehrt er auf die Welt zurück.

In seiner Rechten hält der Kaiser beständig ein großes goldenes Zepter. Gelänge es irgend jemand, ihm diese zu entwinden und damit drei Streiche gegen den Berg zu führen, so wäre das Erlösungswerk vollbracht und der Bann gebrochen, der auf Karl und den Seinen lastet. An der Spitze seines Heeres würde er dann aus dem Untersberge hervorbrechen und der allgemeine Weltkrieg beginnen. Dann wäre auch der Jüngste Tag nicht mehr fern.


Quelle: Götter- und Heldensagen, Genf 1996, Seite 589