4.9 Der Schrattel von Pürgg

Vor mehreren hundert Jahren lebte in Pürgg, dem Pfarrdorf am Fuß des wilden Grimmingstockes, ein Mann, der im Verdacht stand, seine Seele dem Teufel verschrieben zu haben. Er hieß Andreas Mitterstorfer und galt als der Reichste weit und breit. Seine Felder waren gut bestellt und das Vieh auf den schönen Wiesen fett und prächtig; von der Jagd kehrte er stets mit schwerer Beute heim, an Geld fehlte es ihm niemals, und was er sich nur wünschte, erhielt er auf der Stelle. Aber die Leute der Umgebung schüttelten dazu bedenklich den Kopf, denn es war bekannt, dass er alles nur dem Teufel verdanke, denn der Mitterstorfer saß in der Kirche stets nur mit geschlossenen Augen da, weil er dem Höllenfürsten geschworen hatte, den Heiland und Herrgott nicht mehr anzuschauen.

Andreas Mitterstorfer hatte auch ganz eigene Sprüche, so dass frommen Zuhörern bei seinen Erzählungen ganz unheimlich zumute wurde. So sagte er beispielsweise manchmal: „Siebenmal und neunmal sieben bringen Glück, das steht geschrieben!“ – oder: „Schwarz oder weiß, das gilt alles gleich, wenn man es nur gut hat auf Erden.“ Wenn den Andreas jemand ärgerte, so brach er immer in eigene Verwünschungen aus, wie: „Dass dir der Gleckwurm (Anm.: mundartlich für eine Schlangenart) die Zunge abbisse!“ – oder: „So trappl‘ aufi, wo auf’m Dachstein und um den Scheichenspitz die Hexen tanzen!“ und ähnliches mehr. Der Mitterstorfer wusste all die Geschichten vom Blutmandl von Rottenmann, von den Goldlacken und vom Wasserweib und dergleichen mehr; er wusste auch, wie man es anstellen muss, um mit einem Gespenst zusammenzukommen und es sich dienstbar zu machen, und er kannte auch die Vorsichtsmaßnahmen, die man dabei anwenden musste, wie z. B., dass bei einem nächtlichen Geheimtreffen mit einem Berg- oder Wassermandl nie der Name einer Dirn genannt werden dürfe, damit nicht alles dahin sei. Auch wollen die Leute einmal gehört haben, wie Andreas Mitterstorfer sagte: „Auf der Welt sind zweierlei Güter dem Menschen beschieden, nämlich die himmlischen und die Schätze der Erde; zu ersteren geht man ein durch Kirche und Sakristei, zu letzteren gibt es andere Schlüssel, die den Himmel gar nichts angehen. Wer einen dieser Schlüssel besitzt, kann die ganze Welt auslachen und doch noch vor der letzten Musterung selig werden. Wenn wir’s begehren, betet der Priester an unserem Totenbette alles von uns herunter, und wir scheiden freudig und rein ab und haben doch das Leben genossen und alles gehabt, was das Herz erfreut. So will auch ich es einst machen und den schwarzen Erdgeist brav hinters Licht führen zum schuldigen Dank für den Schlüssel, den er mir gegeben.“

Solche Reden führte Andreas Mitterstorfer, und kein Wunder, wenn es den Leuten dabei unheimlich zumute wurde, wenn sie ihm auswichen und ihn mieden, wenn es nur halbwegs möglich war. Doch machte er sich scheinbar nichts daraus, er tat recht vornehm, als hänge alles von ihm ab.

Anders aber war es daheim in seinem Häuschen, das wenig abseits von der Pfarrkirche lag. Da war der Andreas bei weitem nicht mehr derselbe, wie er es vor den Leuten schien. Immer tönte ein krächzender Ruf an sein Ohr, bei dem er jedesmal zusammenzuckte. Er hatte in der Bodenkammer auf einem Steigbaum einen Raben, einen alten verhutzelten Kerl von einem Raben mit ergrautem Kopfgefieder und glutroten Augen, die durch das dickste Brett sahen. Nichts blieb diesem Raben verborgen von dem, was sich im Hause begab, denn er war ja ein Knecht der Hölle und Aufpasser, den sein finsterer Meister in das Haus des mit Leib und Seele dem Teufel verschriebenen und verpfändeten Andreas Mitterstorfer gesetzt hatte. Seit einiger Zeit diente er dem Anderl faul und passte dagegen um so fleißiger auf, weil ein wichtiger Zeitabschnitt herannahte, der Schluß und das Erlöschen des höllischen Vertrages.

Nur wenig mehr über sechs Wochen hatte Mitterstorfer Frist, dann war sein Leib und seine Seele dem Teufel verfallen. Eine Verlängerung des Vertrages war nicht zu hoffen, wenn nicht Andreas entweder eine arme unschuldige Seele anstatt der seinigen zum Untergang weihen oder aber eine noch unschuldigere mittels der Ehe unauflöslich an sich binden würde, um sie zeitlich und ewiglich zu verderben und ihre Kinder, wenn deren kommen, dem Teufel zu eigen zu geben gleich nach ihrer Geburt.

Wenn auch Andreas Mitterstorfer hin und her dachte und darüber nachsann, wie er dem Schrattel – denn ein solcher war der Rabe – absagen, sich aus der Macht des Bösen befreien könnte, so sah er dennoch nirgends einen andern Ausweg, wollte er nicht, daß all sein Hab und Gut zu Asche und Kohle werde, all sein Reichtum zu Staub, sein Feld und Wald zu ödem Gesteine, seine Herde zu abscheulichem Aas, sein nettes Häuschen zur einstürzenden Keusche. So blieb ihm nichts übrig, als mit sich noch ein anderes Wesen dem Bösen zu überliefern und dabei dachte er an die „schneemilchperlblühweiße“ Hanni, die Tochter des Messnerjosels. Diese gefiel ihm gar sehr, diese dachte er an sich zu ketten, seinen Reichtum mit ihr zu teilen, dafür aber sie auch zeitlich und ewig unglücklich zu machen.

Zum Glück aber wollte die schneemilchperlblühweiße Hanni vom verrufenen Andreas Mitterstorfer nichts wissen, sie mochte ihn nicht leiden trotz all seines Reichtumes, von dem sie ja hatte sagen gehört, daß der Teufel seinen Anteil daran hätte. Noch mehr ausschlaggebend aber war, daß sie ihr Herz einem armen Burschen geschenkt hatte. Dieser hieß Hiesel und der Messnerjosel war sein Göd (Anm.: Göd = Pate). Hiesel war freilich arm, aber das machte nichts, er erhoffte sich, da er Jäger im „Neuhausergschloß“ (Anm.: Schloss Trautenfels) war, vom Herrn von Praunfalk einen guten einträglichen Posten, und zudem war sein Göd ein guter Freund zu seinem seligen Vater; Beide hatten es ausgemacht, daß der Hiesel die Hanni heiraten soll, wenn sie einmal groß geworden sind. Und daran hielt der Messnerjosel fest, hatte ihm ja der Pfarrer von Pürgg gesagt, dass ein gegebenes Wort, ein Versprechen einem Eide gleichzusetzen sei; nur der Tod des Hiesels könnte ihn davon entbinden.

Dies wußte nun Andreas Mitterstorfer, der schön öfter versucht hatte, den Messnerjosel für sich zu gewinnen. Er wusste auch, daß dieser für Geld und Reichtum empfänglich sei und bestimmt nichts gegen ihn gehabt haben würde, wenn nur das Versprechen nicht gewesen wäre. Er versuchte nun, den arglosen Hiesel an sich zu ziehen, erzählte ihm von Schätzen und dergleichen und bewog ihn schließlich, zur Jagd auf die weiße Gams mit den Silberkrickeln. Andreas lieh dem Hiesel sein bestes Gewehr und bot ihm an, den Weg zu zeigen; er sagte, er wüsste, wo sich die weiße Gams aufhalte und hätte sie wohl öfter erlegen können, wenn er ein reiner und unschuldiger Junggeselle gewesen und niemals ein Mädchen unehrenhaft geküsst hätte.

Während Hiesel sein Gewehr zur Kirche trug und es weihen ließ trat Andreas vor den Raben hin und sprach: „Jetzt, alter Schratthannsl, jetzt lass mich nicht im Stich! Mit dem Tod des Hiesel gehört die Hanni mir und dir – mit allen Kindern, die da kommen werden. Bist du dann zufrieden und gibst du mir dann noch zehn weitere Jahre?“ – Der Rabe auf dem Steigbaum schnalzte beifällig mit seiner dickgeschwollenen Zunge, was so viel heißen sollte, wie: „Ja!“ – „Du mußt mir aber helfen, schwarzer Hansel!“ fuhr der Mitterstorfer fort; „spiel dem Hiesel ein Blendwerk vor und verwandle dich zum passenden Zeitpunkt aus einem schwarzen Rabenvieh in die weiße Gams mit den Silberkrickeln. Zeig dich uns in dieser Gestalt auf dem wilden Grimming, unterm Scheckelsprung. Das weitere mach ich schon selbst. Willst du oder willst du nicht?“ – Der Rabe schnalzte noch einmal, also wieder: „Ja!“ rief aber dann dem vergnügt zur Tür hinausgehenden Andreas nach: „Noch dreiundvierzig, noch dreiundvierzig!“ Doch Andreas, während er sonst bei des Schrattels Mahnung jedesmal erschrocken zusammenfuhr, achtete jetzt nicht darauf.

Früh am nächsten Tag kam Hiesel zu Mitterstorfer. Er erzählte ihm, daß er in der Nacht einen Wachtraum gehabt hätte. Es sei ihm nämlich vorgekommen, als sähe er sich selbst voll von Blut und sterbend im Abgrund am Scheckelsprunge liegen; Würmer und Käfer krochen an ihm herum und fraßen ihm die Augen aus. Andreas redete dem Hiesel alle Furcht aus, und beide stiegen nun am Grimming bergauf. Das Wetter war ausgesprochen günstig für die Jäger, mit stiller Luft und mildbedecktem Himmel, ohne Sonne und ohne Nebel.

Als sie nicht mehr weit vom Scheckelsprung entfernt waren, sahen sie von Felszacke zu Felszacke die weiße Gams mit den silberglänzenden Krickeln springen. Diese lockte die Jäger von einer gefährlichen Stelle zur andern, wie es eben der Mitterstorfer wünschte, und als sie endlich zu jener Stelle kamen, die er zu seiner schrecklichen Tat ausgesucht hatte, da redete Andreas dem arglosen Hiesel ein, die Gefahr nicht zu scheuen, und sich hinunter in den Abgrund auf Felsvorsprung zu lassen; wenn ihm da die weiße Gams nicht vor die Büchse komme, gäbe es kein Schützenglück mehr auf Erden. Hiesel besann sich nicht lange und rutschte, die Büchse hochhaltend blitzschnell hinunter. Nun rollten ihm schwere Felsblöcke nach, die Andreas in teuflischer Bosheit in Bewegung gesetzt hatte; doch die Steine taten dem Hiesel nichts an, rollten seitlich an ihm vorbei und stürzten in die Tiefe. Hiesel erkannte nun die Absicht des Mitterstorfers; er wusste nun, daß ihn Andreas hierher gelockt hatte, um ihn zu töten, und dann die Hanni zur Frau zu nehmen. Hiesel sah vor sich den tiefen Abgrund und hinter sich die steile Wand, so schien sein Schicksal besiegelt. Da erblickte der Arme plötzlich jenseits des Abgrundes, gegenüber dem Scheckelsprunge die weiße Gams mit den Silberkrickeln. Voll von Hoffnung legte Hiesel das Gewehr an, aber in diesem Augenblicke weht der Silberglanz wie im Wind auseinander und anstatt der Gams schwingt sich ein kohlschwarzer Rabe empor, lacht den armen Schützen höhnisch aus und schießt dann pfeilschnell in den Abgrund nieder, wo er verschwindet.

Vor Bestürzung entglitt das Gewehr Hiesels Hand und folgte dem Raben in die Tiefe. Der Arme hatte nun keinen Zweifel mehr, dass sein letztes Stündlein geschlagen hatte, dass er ein Opfer teuflischer List geworden war, und dass ihm nichts mehr übrig bliebe, als zu beten und sich auf einen schrecklichen Tod vorzubereiten.

Doch die Sache kam anders!

Andreas Mitterstorfer war, nachdem er sich sicher glaubte, daß Hiesel unrettbar verloren und keine menschliche Hilfe mehr möglich sei, rasch den Grimming hinab gestiegen und hatte unter Wehklagen überall die traurige Kunde erzählt. Als davon auch der Pfarrer hörte, nahm er das Hochwürdigste, um dem Unglücklichen wenigstens aus der Ferne das heiligste Sakrament zu spenden. Ein frommer Zug schloss sich dem würdigen Priester an, und rüstig emporklimmend am steilen Grimming gelangten sie bis an jenen Schluchtrand, wo die Gams mit den Silberkrickeln sich in den schwarzen Raben verwandelt hatte.

Der Pfarrer zeigte dem Jäger an der Felswand die Monstranze und betete mit aufgehobenen Händen die Sterbegebete; der Unglückliche kauerte sich auf seinen Knien und empfing den letzten Segen andächtig aber stumm. Nun riefen einige Männer, welche möglichst nahe hinaufgeklettert waren, dem Hiesel zu, er möge sich in den Abgrund stürzen, das sei besser, als zu verhungern. Der aber rührte sich nicht. Da legte nun Andreas seinen Stutzen auf ihn an; er drückte ab, der Schuß ging los, die Kugel trieb sicher über die Schlucht und der Knieende stürzte ohne einen Laut zusammen. Gleichzeitig aber ging von ihm ein heller Schein aus und zum Himmel empor. Einige wollten gar einen Engel gesehen haben, der verklärt zu den Wolken aufflog.

Die Meinungen über die Tat des Mitterstorfers waren geteilt. Einzelne lobten Andreas, dass er den unglücklichen Hiesel rasch erlöst hatte, der Pfarrer aber tadelte ihn mit strengen Worten, so daß Andreas sich getroffen fühlte im Bewußtsein seiner schweren Schuld, voll bitterer Verzweiflung nach Hause ging.

Wie groß aber war das Erstaunen aller, als sie vom Grimming heimkamen und ihnen dort Hiesel an der Hand seiner Hanni, festlich geschmückt, entgegentrat. Alles wunderte sich, staunte und bestürmte den Totgeglaubten mit Fragen. Hiesel aber sagte: „Was die Menschen böse machen wollten, hat der Himmel gutgemacht. Mein Schutzengel hat mein Gebet am Grimming erhört und mich an seiner Hand herabgeführt auf einem andern Weg, als den Ihr kennt, und wenn Andreas auf mich geschossen hat, so hat er sich frevelhaft am Himmel vergangen, wie er es schon lange getan hat, denn seine Werke sind die des bösen Feindes.“

Bei diesen Worten wandten sich die Leute alle um nach dem Mitterstorfer, aber der war verschwunden. Als er Hiesel erkannt hatte, war er, aus Furcht vor den Folgen seines Verbrechens, nach Hause geeilt. Hier rief ihm der Rabe höhnisch zu: „Noch zweiundvierzig, noch zweiundvierzig!“ und er wurde davon erschüttert bis ins Mark. Und als die Leute furchtbar erregt ins Haus stürmten, um den Bösewicht zu fangen, sahen sie den Mitterstorfer an einem Balken hängen, aus dem Rauchfang aber flog ein schwarzer Rabe, es war der Schrattel, der die Seele des Selbstmörders mit sich führte dorthin, wohin sie gehörte. Und gleich darauf war das schöne Haus zur einstürzenden Keusche geworden; des Mitterstorfers schöne Herde war verendet und lag, ein Haufen von wüsten Knochen, auf der Erde; Wald und Feld verwandelten sich in öde Flächen und Halden voll Gestein und Unkraut, und all die Schätze des Andreas wurden zu Staub, Kohlen und Asche.

Hiesel heiratete bald darauf seine Hanni und war mit ihr glücklich; auch sonst fehlte ihm nichts, denn der Herr von Praunfalk hatte ihn zum Wildmeister gemacht, und ein reicher Vetter hatte ihn zu seinem Erben eingesetzt. Die Verständigung davon hatte Hiesel genau zu der Zeit erhalten, als er, der Totgeglaubte, den vom Grimming Heimkehrenden so unvermutet und wundersam entgegengekommen war.

Quelle: Sagenhaftes Hinterbergertal, Sagen und Legenden aus Bad Mitterndorf, Pichl-Kainisch und Tauplitz vom Ende der Eiszeit bis zum Eisenbahnbau, Matthias Neitsch. Erarbeitet im Rahmen des Leader+ Projektes „KultiNat“ 2005 – 2007.
© Matthias Neitsch