Riese Heimo und Riese Thürse
Aus dem Neustädter Thore Innsbrucks zieht die Brennerstraße hart an de schönen und reichen Prämonstratenser Abtei Wilten, auch Wildau genannt, das Veldidena der Römer, vorüber. Zu den Seiten des Hauptportales der Kirche dieses berühmten Klosters werden die mächtigen Steingestalten zweier Riesen erblickt, denen man die Namen Heimo oder Haimon und Thyrfus beigelegt hat, zwei Namen, die sich ohne Schwierigkeit auf die altgermanischen Riesennamen Heime, der in der deutschen Heldensage als Sohn Madelgers und einer Meerminne auftritt, und auf einen Thurs, Thurse, angelsächsisch Thyrs, Gesamtname des Riesengeschlechtes, zurückführen lassen.
Die örtliche Sage des Klosters Wilten nun, aus einem alten lateinischen Gedichte in das Volk gedrungen, hat den Gesamtnamen in einen Eigennamen umgewandelt. Beide Riesen gehören der Zeit an, in welcher die rohe Riesennatur sich der Kultur anzubequemen begann, und das Christenthum Eingang in die Felsenthäler Tirols fand.
Einer der gewaltigen Bergriesen des Landes hieß Heime oder Heimon, der war so groß, daß er das Dach eines Hauses höher bauen mußte, um aufrecht darin stehen zu können, und von grausamer Wildheit. Die Ansiedeler der Gegend fürchteten ihn überaus, und baten ihn, ihre Gehöfte in Ruhe zu lassen, und sich dann zurückziehen und entferntere Strecken urbar zu machen. Da schrie Heime, indem er auf einen mächtigen Felsblock zeigte:
So weit ich mit dem Steine da auf der Schulter laufe, so weit ist Grund und Boden mein!
Hob alsbald den Block, spazierte die Sill entlang aufwärts, wandte sich nach links zum Patscherkofl, ging dann herunter über Igels und um Wilten herum, und warf dann, als er am Orte seines Ausganges wieder angelangt war, den Stein noch mit entsetzlicher Gewalt westwärts. Dann begann er sich am Ausgange des Sillthales gegen den Inn ein festes Schloß zu bauen, dazu er die Steine in den Gebirgsschluchten des Sillthales brach.
Nun hauste aber in derselben Gegend noch ein Riese, de war noch etwas größer und stärker als der Heime, und hatte sein Wesen hoch ober Zirl hinter dem zackigen, kahlen und schroffen Solstein, auf den Hochmatten von Seefeld, das er zuerst anbaute, wie das alte Gedicht singt und sagt.*) Dort herum liegt auch der Weiler Thyrschenbach.
Dieser Thyrse haßte den Heime und zerstörte ihm heimlich immer auf's neue den begonnen Bau, und als Heime Kunde erhielt, wer es sei, der ihn also schädigte, so erwachte die Riesenwuth in ihm und er stürmte in heller Rüstung und mit mächtigem Schwert gegen den Thyrsen. Dieser nahm seinen Wehrbaum, als er den Heime heranrasseln hörte und nun begann ein Kampf, daß die Erde bebte und kirchthurmgroße Stücke vom Solstein abbrachen und ins Thal fielen. Die Streiche fielen hageldicht, endlich siegte aber doch der besser bewehrte und bewaffnete Heime, und der wilde Mann, Thyrse geheißen, erlag dem Gegner.
Zu dieser Zeit predigte ein Mönch in den Thalschluchten der sill zuerst das Christenthum, das war um die Mitte des neunten Jahrhunderts, den hörte auch Heime, und fühlte nun Reue, daß er den Thyrs erschlagen. Heime wurde Christ und vom Bischof von Chur getauft, that sich, nachdem er noch zuvor die feste Brücke über den Inn gebaut, von welcher Innsbruck seinen Namen trägt, das Weltleben ab, baute, statt sein Schloß zu vollenden, ein Kloster, und das ist Wiltau oder Wildenau, kurzweg Wilten. Das verdroß den Teufel mächtiglich, und er sandte einen gräulichen Lindwurm, von denen es damals in Tirol viele gab, den Bau zu hindern, aber Heime ging dem Drachen zu Leibe, erlegte ihn und schnitt ihm die Zunge heraus. Mit diese großen Zunge ist er abgebildet, und die anderthalb Ellen lange Zunge selbst wird auch noch aufbewahrt. Heime wurde Klosterbruder in Wilten, lebte gottselig und wurde nach seinem Tode daselbst beigesetzt. Sein Steinsarg war einst noch allda zu sehen, darinnen die Riesengebeine ruhten; derselbe maß vierzehn Werkschuh und drei Querfinger.
Der Tiroler Riese Heime ist mit dem Recken Heime des "Heldenbuches" sagengeschichtlich sehr nahe verwandt. Auch der letztere Heime erlegte einen Drachen, auch der letztere ging in eine Kloster im Lamparten, auch er erlegte endlich einen Riesen, nur daß dieser nicht Thyrse, sondern Aspilian hieß.
Auf Heime's Sarge ruhte in Holz geschnitzt sein Bildniß, und eine Gedenktafel an einem Pfeiler neben dem Grabe erzählt der Nachwelt seine Geschichte.
*) Thyrsis erat dictus; Seveldia rura colebat. Thyrse
war er genannt, er baute die Aecker um Seefeld.
Siehe auch Wie
Haymo den Thyrsus erschlug (Reith b. Seefeld)
Quelle: Mythen und Sagen Tirols, gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Zürich 1857, S. 40f, Nr. 17