Geheimrat Utzschneider (1809)


Otto Granichstaedten-Czerva

Die Gegensätze zwischen den Tirolern einerseits und den Bavaro-Franzusen anderseits waren im Jahre 1809 so groß und so tief gewurzelt, dass man nicht einmal den Versuch von Friedensverhandlungen und Vermittlungsvorschlägen zur Überbrückung der Feindlichkeiten machte. Man sprach beiderseits nur von bedingungsloser Unterwerfung; die Franzosen mussten wiederholt vor den Tirolern kapitulieren (Wilten, Sachsenklemme, Pontlatz), die Tiroler vor den Franzosen (1. November 1809) Nur ein Mann war von Beginn des Krieges an unablässig bemüht, die Geschütze zum Schweigen zu bringen, das war der bayrische Referendar Utzschneider.

Josef von Utzschneider wurde am 2. März 1763 in Rieden am Staffelsee geboren. Von seinen Vorfahren war Barbara Utzschneider mit dem Bürgermeister von Innsbruck, Bernhard Attlmayr (1614), vermählt. Sie besaß das Haus Maria-Theresien-Straße 46 („Goldene Krone"), ihr Sohn Paul Attlmayr wurde (1631) ebenfalls Bürgermeister von Innsbruck. Josef von Utzschneider diente bei der politischen Verwaltung Bayerns, wurde Geschäftsträger in Berchtesgaden und geheimer Referendar. Er kam am 21. Mai 1808 im Gefolge des Königs Max Josef nach Innsbruck, wurde Generaladministrator der Salinen für ganz Bayern, weshalb ihm in der bayrischen Epoche die Saline Hall unterstand. Am 19. Mai 1808 wurde er Ritter des Zivil-Verdienst-Ordens der bayrischen Krone und erhielt hiezu den Adelsstand mit den Prädikaten „auf Ried und Benediktbeuern". Bei seinem Vorgesetzten, dem bayrischen Finanzminister Johann Wilhelm Freiherrn von Hompesch-Bollheim (geb. 1761, gest. 1809), scheint er nicht sehr beliebt gewesen zu sein, da er ihm vorwarf, die Salinen zu sehr für seinen eigenen Vorteil ausgebeutet zu haben (9. Jänner 1809, Archiv f. Öst. Gesch., Bd. 63, Seite 227).

Das Merkwürdigste an der Tätigkeit Utzschneiders im Jahre 1809 war, dass er neben seinem Berufe den Drang hatte, als Friedensapostel in Tirol zu wirken. Natürlich im Interesse seines Königs, aber ohne dessen besonderen Auftrag, ja sogar oft gegen den Willen der bayrischen Regierung, also auf eigene Faust, Da die Haller Saline nach der Berg-Isel-Schlacht (29. Mai) wieder in Tiroler Hände kam, reiste Utzschneider am 14. Juni 1809 nach München zum König und entwarf diesem seine großzügigen Friedenspläne. Er entrang dem König ein Handschreiben, das ihn bevollmächtigte, „alles was ihm geeignet erscheine, anzuwenden, um die Leute des Innkreises, die nur gezwungen mittäten, und eigentlich friedsam gesinnt wären, gegen Zusicherung voller Verzeihung zum Gehorsam zu bringen". Schon am 20. Mai 1809 hatte er anlässlich einer Visitationsreise in Hall mit dem Volke freundlich verkehrt und es ausgehorcht, aber nichts Gutes erfahren. Wir haben nun aus der Literatur die verschiedenen Stellen notiert, die sich mit einer Charakteristik dieses merkwürdigen Mannes befassen. Josef Hirn schreibt („Tirols Erhebung", S. 440): „Der wohlwollende Optimist, der gutmütige, geschwätzige Herr sparte nicht eifrigstes Zureden bei den Bauern und mannigfaltige Ratschläge bei seiner Regierung, um, wie er träumte, neben seiner amtlichen auch eine Friedensmission in Tirol Zu erfüllen." Josef von Hormayr (10. Juli 1809): „Ich kannte diesen parvenierten Millionär schon seit Jahren. Einst war er feuriger Illuminat (religiöser Aufklärer), dann Verräter der Illuminaten und Proselyt, ein Schützling des Kurfürsten Karl Theodor und dann dessen erster Frondeur, ein Herold der deutschen Republik im Jahre 1800 und dann der Trabant des drückendsten Despotismus und der Universalmonarchie Napoleons." An anderer Stelle schreibt Hormayr aber: „Ein überaus scharfsinniger, unermüdlicher, in allen Verwaltungszweigen heimischer Beamter".

Am 23. Mai 1809 rät Utzschneider, die Aushebung der Tiroler als bayrische Rekruten einzustellen, denn in manchen Tälern ziehen die Tiroler Bauern den Pflug selbst, dort ist also Menschenkraft teuer. „Mit Gewalt erreicht man nichts, Züchtet nur Verbrecher. Man sollte Scharfschützenkompagnien bilden, die man den bayrischen Militärbataillonen zuteilen könne, da ja auch Frankreich seine Tirailleurs habe," Sein verunglückter Friedensuersuch in Hall am 20. Mai 1809 schreckte ihn nicht ab, es ein zweites Mal zu versuchen, diesmal mit dem geschriebenen Wort. Er begann eine ausgedehnte Korrespondenz mit Tirol; wo er eine führende Person wusste, klopfte er an. Von Kempten bis in den Pongau bereiste er die Grenzdistrikte, entsandte von dort seine Briefe und suchte persönliche Verbindungen anzuknüpfen. Er sandte von seinen Amtssitzen Reichenhall und Benediktbeuern unzählige Briefe an die Tiroler Landesverteidiger Martin Rochus Teimer, Jakob Siberer, Rupert Wintersteller, Dekan Matthias Wishofer, Christian Blattl, Dr. Anton Schneider, an seinen Stellvertreter in Hall, Josef von Wallpach, an alle Pfarrer und Postmeister usw. Als diese großzügige Aktion keinen nennenswerten Erfolg zeitigte, verstieg sich Utzschneider zu einer hochtrabenden Proklamation (Reichenhall, 27. Juni 1809), die er in Tausenden von Exemplaren nach Tirol sandte und dort durch die Pfarrer und Landrichter verbreiten ließ. In dieser Proklamation „An die Bewohner Tirols" versprach Utzschneider im Namen des Königs allgemeinen Pardon, Unterstützung der Kriegsopfer, keine Militärkonskriptionen, Erfüllung der Forderungen der Geistlichkeit, Belassung der bestehenden Klöster, Verminderung der Lasten, Wahl von ständischen Deputierten gemäß der bayrischen Konstitution, Untersuchung der Beschwerden der Tiroler und ähnliche Vorteile. Hans von Voltelini schreibt dazu („Forschungen etc.", Seite 182): „In der Tat ein verführerisches Angebot, dessen Annahme den Tirolern viel Blut und Tränen erspart hätte!" Die Proklamation schloss mit den Worten: „Prüfet meine Anträge, ihr werdet Aufrichtigkeit, Wahrheit und euer Glück darin finden. Lasset euch nicht länger mit falschen Nachrichten täuschen! Seid unserem König treu und anhänglich und — die Bayern werden euch wieder lieb gewinnen!"

Selbstverständlich kam diese halboffiziöse Friedensbotschaft in Tirol rasch zur Kenntnis der österreichischen Behörden. Aber auch an den österreichischen Intendanten Josef von Hormayr (22. Juni und 3. Juli 1809) wagte sich der schreibselige Utzschneider heran, ein allerdings plumpes und bei dem damaligen (erst 1828 trat Hormayr in bayrische Dienste) Hormayr aussichtsloses Manöver! Er kannte Hormayrs schwache Seite und versuchte, mit ihr den Mann zu kitzeln. Daher schreibt er ihm, er habe seine historischen Schriften mit Wärme gelesen und sehe in Hormayr einen „Zweiten Plutarch". Mit diesen großen Schmeicheleien war es aber nicht abgetan. Utzschneider versprach seinem Gegner große Ehren (den Gouverneurposten in Tirol) und in versteckter Weise sogar Geld! Aber Hormayr, damals auf dem Höhepunkt seiner Macht, reagierte zunächst auf alle diese schönen Verlockungen nicht, sondern glaubte am besten zu tun, wenn er durch einen Gegenstoß, durch (am 29. Juni und 10. Juli 1809 in Brixen) gedruckte Proklamationen, die Tiroler vor den Lügen Utzschneiders warnte und den Inhalt der an ihn gerichteten Briefe schonungslos veröffentlichte. „Jetzt nennen sie euch wieder Tiroler, früher haben sie euch nur Südbayern genannt und euch als Wilde hingestellt!"

Sa war Utzschneiders Friedensmission vollkommen gescheitert. Zwar gab es über seine Proklamationen bei einigen friedensliebenden Bauern erregte Debatten, sie stifteten in einigen Tälern Verwirrung, steigerten die Unschlüssigkeit zur Fortsetzung des Kampfes, ermutigten die Bedenkenkrämer, aber die große Mehrheit der Tiroler Landstürmer gab die Briefe und Proklamationen ihren Vorgesetzten und erhielt hiefür die Gegenproklamation Hormayrs.

Nur einer schien auf Utzschneiders Plane einzugehen: Martin Rochus Teimer. Aber nicht ernstlich, sondern nur, um den Friedensboten „hineinzulegen". Er lud den Geheimrat für den 14. Juli 1809 zu einer Unterredung in der Scharnitz ein. Als aber Utzschneider, voll froher Hoffnungen, am verabredeten Tage bei den Grenzen vor Scharnitz eintraf, vernahm er, dass 300 Tiroler Bauern im Scharnitzpasse im Hinterhalte liegen, um ihn zu fangen, wenn er leichtgläubig nach Scharnitz käme. So kehrte er mit bitterer Enttäuschung heim.

Aber nicht nur in Tirol war Utzschneiders Aktion eine arge Blamage, auch in Bayern ließ man ihn fallen. Als Innenminister Max Graf Montgelas Utzschneiders Aufrufe las, geriet er ordentlich „ins Feuer". „Wie kann Utzschneider derartiges erlassen ohne Auftrag, ohne Vollmacht? Dass sich Utzschneider öffentlich als Pazifikator aufspiele, möge gut von ihm gemeint sein, man werde aber darüber lachen, wenn es nichts fruchte!" — Gedrückt und verärgert zog sich Utzschneider in sein Salinenamt in München zurück und hielt fortan den Mund, nachdem er vorher noch eine Flut von Vorwürfen und Verwünschungen von den bayrischen Ministern hatte einstecken müssen (24. Juli 1809). Er hatte die sich selbst gestellte Aufgabe als Friedensapostel, Emissär und politischer Stimmungsmacher durch seine Ungeschicklichkeit und seine verschiedenen Missgriffe verfehlt. Ja, die den Tirolern gemachten Versprechungen (27. Juni 1809) bewirkten nur, dass sich die Tiroler in der Zeit der bayrischen Epoche 1810 bis 1814 immer wieder auf diese Proklamationen beriefen und dadurch die bayrische Regierung in arge Verlegenheit brachten. Daher war auch der Minister Montgelas sehr ungehalten, als Utzschneider im Dezember 1809 wegen seiner Salinengeschäfte wieder in Tirol auftauchte. Am 20. August 1811 wurde Utzschneider zum Vorstande der Zentralschuldentilgungskommission ernannt, konnte aber auch in dieser hohen Stelle wenig Erfolge erringen. Am 3. April 1813 wurde er in die bayrische Adelsmatrikel eingetragen.

Über Utzschneider enthält der 39. Band der „Allgemeinen Deutschen Biografie", Leipzig, 1895, eine 20 Druckseiten lange Biographie, die aber mit keiner Silbe die Tätigkeit Utzschneiders in Tirol 1809 erwähnt. Wir erfahren aber daraus, dass Utzschneider eine ganz unerhört rasche Karriere gemacht hatte, da er es vom Bauernburschen - seine Eltern, Andreas Utzschneider und Maria geborene Andree, waren einfache Bauersleute - zum Geheimrat und Vertrauten des Königs brachte. Mit 21 Jahren war er schon Hofkammerrat, errichtete später ein optisches und mechanisches Institut, war Glasfabrikant und Lederfabrikant, gründete technische und landwirtschaftliche Schulen, war Bürgermeister von München und starb an den Folgen eines Wagenunfalles (durch Scheuen der Pferde) am 31. Jänner 1840 in München. Sein Leben war voll Bewegung, wiederholt wurde er vom König in Ungnade entlassen, aber immer wieder zu einem neuen hohen Amte berufen. Er hatte mehr Gegner als Freunde.



Quelle: Otto Granichstaedten-Czerva, Geheimrat Utzschneider (1809), in: Tiroler Heimatblätter, Monatshefte für Geschichte, Natur- und Volkskunde, 12. Jahrgang, Heft 9, September 1934, S. 335 - 337.

Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.