Margarete Hofer
von Rudolf Granichstaedten-Czerva
Es ist bekannt, dass nach der Niederwerfung des Tiroler Aufstandes im November 1809 der französische Divisionsgeneral Johann Bapt. Broussier auf seinem Zug durch das Pustertal von Dorf zu Dorf durch Kriegsgerichte und grausame Exekutionen in geradezu sadistischer Weise blutige Rache an den aufständischen Bauern nahm. Seine am bekanntesten gewordene Bluttat war die Erschießung des sich aus Kindesliebe selbst opfernden Tharer-Wirtssohnes Peter Siegmayr aus Olang, den Broussier zunächst acht Tage als Gefangenen herumschleppte und schließlich in Mitter-Olang beim Baumgartnerhof am (Namen-Jesu-Sonntag) 14. Jänner 1810 erschießen ließ. Aber selbst die Leiche wusste Broussier noch zu schänden, indem er sie in verschiedenen Dörfern öffentlich aushängen ließ.
Die gerechte Erbitterung der frommen Tiroler über diese schaurigen Freveltaten führte zu einem Vorfall, der nun geschildert werden soll:
Es war am 17. Jänner 1810, als auf einmal in Mühlen (bei Sand) im Tauferertal heftig Sturm geläutet wurde. Voll Angst, dass es irgendwo brenne, eilte man von allen Seiten zur Kirche herbei; da kam vom Turm herab eine großgewachsene, rüstige, alte Jungfer mit einigen anderen Weibern, es war Margareta Hofer, eine Verwandte des Lucknerwirtes Johann Hofer. Diese stellte sich in die Mitte der zusammengelaufenen Weiberschar und hielt folgende Rede: „Meine guten Weiberleute! Wahrscheinlich habt Ihr gemeint, dass es irgendwo brenne; Feuer ist gottlob keines ausgekommen, aber die Franzosen wollen wieder hereinkommen und an dem Lucknerwirt dasselbe tun, was sie, wie Ihr schon wisst, an dem armen Tharer-Wirtssohn in Olang getan haben; auch werden sie sicherlich alles anzünden und verwüsten. Das dürfen wir nicht dulden, wir Weiber müssen den Männern ein gutes Beispiel geben und ihnen zeigen, wie man die Franzosen zu empfangen hat. Geht jetzt gleich und holt Euch Waffen!" Der Unterlucknerwirt Johann Hofer hatte sich schon am 2. Dezember 1809 an dem Sturm gegen das vom General Almeras besetzte Bruneck beteiligt.
In Ermangelung anderer Waffen versahen die Weiber sich mit Mist-, Heu- und Ofengabeln, mit Dreschflegeln und dergl. Margareta führte ihre Schar auf den Grießmayr-Platz und richtete dort förmlich ihre Kompagnie ein, indem sie die mit Gabeln Versehenen ins erste Glied stellte. Als sie noch zu wenig Streiterinnen sah, befahl sie: „Läutet nochmals Sturm, es ist zu wenig Mannschaft!"
Und wirklich kamen auf das erneute Sturmläuten noch viele Streiterinnen herbei, um den von den Männern bereits aufgegebenen Kampf gegen die Franzosen wieder aufzunehmen.
Die Weiber schickten nun eine Deputation an den damaligen Kaplan von Mühlen, Matthias Prackwieser, und trugen ihm Würde und Amt eines Feldkaplans an; da aber dieser sich zu diesem Amte nicht herbeiließ, schalten sie ihn einen Feigling.
Drei Tage und drei Nächte stand nun die Weiberkompagnie unter Waffen, kochte auf dem Platze ab und unterhielt nachts regelmäßige Wachfeuer, niemand durfte da etwas dreinreden oder abraten, denn jedermann würde sogleich für einen Verräter an Gott, Kaiser und Vaterland gehalten worden sein.
Als auch am vierten Tage keine Franzosen sich zeigten, legten die Weiber die „Waffen" weg und gingen auseinander. Aber gerade tags darauf kamen die Franzosen mit Tagesanbruch und brachten die Leiche des erschossenen Tharer-Wirtssohnes mit, welche sie als Schreckmittel für die Einwohner am Eingang des Dorfes Sand aufhängten. Dieses hatte der französische General Broussier so angeordnet, weil er den Lucknerwirt und andere Aufwiegler suchen wollte; dazu hatte er auch von der Weiberkompagnie gehört und in Erfahrung gebracht, dass sie nur durch den Lucknerwirt veranlasst wurde. Und dies war auch wirklich der Fall, wie es sich später zeigte.
Da verbreitete sich das Gerücht, der Landrichter von Taufers, Alexander von Attlmayr (geb. 24. Mai 1777 in Mauls, gest. 14. Dezember 1834 in Meran), werde den Franzosen das sichere Versteck, in welches die Weiber den Lucknerwirt gebracht hatten, verraten. Eiligst versammelte Margareta Hofer wieder ihre Amazonen und beriet sich mit den Weibern, was zu tun sei, damit der brave Lucknerwirt nicht wegen der Veranlassung der Weiberkompagnie sein Leben verliere.
Der Beschluss ward gefasst, sofort zum Landrichter zu gehen und ihn mit Bitten zu bewegen, dass er den Lucknerwirt nicht ausliefere, nötigenfalls aber ihm auch andere Saiten auszuziehen. Die Weiberschar zog also von Mühlen nach Sand, ging an den die Leiche bewachenden Franzosen vorüber, welche allen Unfug mit der hart eingefrorenen Leiche trieben und den Vorübergehenden zuriefen: „Un brigand – tous les brigands!", indem sie diese Worte mit verständlichen Gebärden des Aufhängens begleiteten. Die Weiber gingen in die Wohnung des Landrichters, voran Margareta Hofer, welche die Zimmertür ohne anzuklopfen öffnete und eintrat; ihr drängten die anderen nach, soviel das Zimmer nur fassen konnte, während die übrigen im Vorsaal und aus der Stiege die Dinge abwarteten. Da fielen sie im Zimmer aus die Knie und baten mit ausgespannten Armen: „O, lieber Herr Landrichter, tun Sie doch das nicht und lassen Sie den Lucknerwirt nicht umbringen!" Als Attlmayr ihnen barsch erwiderte: „Eure Dummheit ist an allem schuld, Eure Dummheit hat uns die Franzosen hereingebracht, was kann ich nun tun?" sprangen die Weiber auf und ihn umringend schrien sie: „Ei, ein solcher Richter bist Du, der des Kaisers Freund zum Tode liefert! Wenn der Luckner stirbt, stirbst auch Du!" „Um Himmelswillen," rief Attlmayr, „haben die Franzosen ihn schon gefunden?" Die Weiber verneinten dies und bekräftigten, dass die Franzosen ihn auch unmöglich finden könnten, erwähnten aber das Gerücht, dass Attlmayer das Versteck desselben verraten wollte. „Bei Gott", erwiderte tiefbewegt der Landrichter, „da kennt ihr mich schlecht, wenn ihr so etwas von mir denken könntet; wahrlich das habe ich nicht verdient! Freilich wäre es etwas anderes, wenn die Franzosen den braven Mann, den ich schätze, schon aufgefunden hätten oder ihn noch auffinden würden, da könnte ich allerdings für sein Leben wenig oder nichts mehr tun". Er beruhigte hierauf die Weiber, ermahnte und bat sie mit den freundlichsten Worten ruhig und einzeln nach Hause zu gehen, und wenn ihnen anders das Leben des Lucknerwirtes teuer sei, nicht weiter von ihm zu reden und sich still zu verhalten, geschehe, was da wolle.
Der wohlmeinende Rat wurde genau befolgt, und obgleich die Drohung der Franzosen bekannt wurde, dass sie, wenn der Lucknerwirt sich nicht entweder freiwillig stelle oder ausgeliefert würde, das ganze Dorf anzünden würden, blieb doch alles ruhig und still. Der folgende Tag war angebrochen, ohne dass die Franzosen des Lucknerwirtes habhaft werden konnten. Es war Mittagszeit und die Soldaten bereiteten eben ihr Mittagessen, als französische Reiter von Bruneck heransprengten und das Signal zum sofortigen Abmarsch gaben. So zogen nun die Franzosen in größter Eile mit der Leiche des Peter Siegmayr wieder ab, ohne weiteren Schaden angerichtet zu haben.
Die kampflustigen, widerhaarigen Weiber von Mühlen hatten den Männern ein leuchtendes Beispiel von Energie und Tapferkeit gegeben. Margarete Hofers Weiber-Kompagnie hatte übrigens schon Ende September 1809 eine Probe ihres Mutes gegeben. Damals bildeten die Weiber im Tauferertal vier Kompagnien, stellten Wachen und sandten Patrouillen aus. In Taufers waren damals 700 gefangene Sachsen interniert, die aber Gelegenheit fanden, zehn Stunden weit, bis zu den Krimmler Tauern zu entwischen. Aber die Weiber — wie Anton Steger später erzählte — setzten ihnen, mit Heugabeln, Flinten und Morgensternen bewaffnet, nach, holten sie auf den Eisfeldern ein und brachten sie unter Prügeln zurück. Manche Tauferer Frauen sollen den jungen nach Hause kommenden Schützen die Verbände abgerissen haben, um sich zu überzeugen, dass sie wirklich verwundet wären, und nicht etwa aus Feigheit die Kompagnie verlassen hätten.
Rechtschreibung behutsam angepasst.
© digitale Version www.SAGEN.at, Wolfgang Morscher 2009.